CDU:Die großen Leiden der kleinen Christdemokraten

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Die CDU steckt wohl in einer der schwierigsten Umbruchphasen in ihrer Parteigeschichte. Die schnelle Entscheidung zum Atomausstieg irritiert viele Mitglieder. Es ist die Kehrtwende der Partei, die viele erstaunt. In der Basis fragt man sich immer häufiger: "Warum bin ich CDU-Mitglied?"

Stefan Braun

Der Tag soll ein guter Tag werden für die Christdemokraten. Er soll Parteispitze und Basis in schweren Zeiten zusammenbringen. Die CDU-Führung vollzieht mit der Atomwende den größten Schwenk ihrer Geschichte. Das schreit für viele in der Partei nach einer großen Begründung. Also laden Parteichefin Angela Merkel und Generalsekretär Hermann Gröhe alle Landesgeneralsekretäre und Landesgeschäftsführer ein, um sich darüber auszutauschen.

Merkel und Gröhe reden und argumentieren, um in die Debatte überzuleiten. Doch dann passiert, was nicht passieren sollte: alle schweigen. Keiner will spontan reden, keiner mag diskutieren oder nachfragen. Erst auf Gröhes Drängen finden ein paar Teilnehmer Anwesende ein paar höfliche Worte. Trotzdem wird später von einer "Grabesstille" die Rede sein, jedenfalls bei denen, die diesen Auftritt vor einigen Wochen miterlebt haben.

Schlimmer geht es kaum für eine Volkspartei, die Volkspartei bleiben möchte. Sie verliert Wahlen und Mitglieder, und sie verlernt es zu reden. Das Resultat: Entfremdung macht sich breit zwischen denen, die regieren, und denen, die ihre CDU nicht mehr erkennen können. Während die Regierung sich nach Weltfinanzkrise, Griechenland-Rettung und Atomunfall in Japan wie eine Dauer-Krisenmanagerin empfindet, kämpfen viele andere, die nicht in diesen Zwängen stecken, um die Antwort auf ihre alles entscheidende Frage: "Warum ist es richtig, dass ich CDU-Mitglied bin?"

Die Frage stammt von Mike Mohring. Der 39-jährige CDU-Politiker aus Thüringen gehört zu jener Gruppe von Landespolitikern, die unter Berliner Christdemokraten oft nur noch als "ewige Nörgler" abgetan werden. Das ist einerseits richtig - und andererseits gefährlich. Einerseits hat es der Fraktionschef im Erfurter Landtag geschafft, seinen Bekanntheitsgrad vor allem darauf zu gründen, dass er regelmäßig Spitzen gegen Berlin abfeuert.

Ähnlich agieren einige andere innerhalb und außerhalb Berlins, so Mohrings Kollege Christean Wagner aus Hessen, der sächsische Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz oder auch der Chef der Jungen Union, Philipp Mißfelder. Sie alle haben schon harte Urteile gefällt über die CDU-geführte Regierung. Sie alle sticheln auch mal gegen Angela Merkel und sind deshalb berühmter, als sie es ohne diese Attacken wären - auch wenn nicht jeder wie Wagner schon eine "Todsünde" der Union ausgemacht hat.

Und doch, bei aller Überzogenheit der Kritik - nimmt man ihre Wortmeldungen der letztenvergangenen Tage, dann spürt man, dass es nicht mehr reicht, die Kritik kleinzureden. Bei genauem Blick kann man Stimmen und Stimmungen erkennen, die gefährlich werden. Sie zeigen, was Entfremdung bedeutet. Dabei hilft es als Erklärung wenig, dass die Regierung unter dem Druck von Großkrisen Dinge tut, die vom Parteiprogramm abweichen.

Es geht um ein Problem, das sich nicht an einem einzelnen Thema festmacht. Es geht ums Erklären und Begründen.Das klingt zunächst absurd, wenn man sich an Merkels und Gröhes erwähnten Versuch vor einigen Wochen erinnert. Offenbar aber wollen die Mitglieder der Partei mehr als eine Einladung in die Hauptstadt. "Die, die am Samstag auf der Straße für die CDU kämpfen, müssen mit guten Argumenten ausgestattet werden", sagt Mohring.

Nicht anders sehen das jene, die zuletzt die schlimmste Niederlage erleiden mussten: die Christdemokraten aus Baden-Württemberg. Ihre Analyse: Die CDU rede zu wenig, sie höre zu wenig zu. Ihr fehle das Gefühl für die Menschen. Thomas Strobl, Noch-Generalsekretär und Kandidat für den Landesvorsitz, drückt das so aus: "Wir haben das intensive innerparteiliche Streiten um die Sache verlernt." Geschlossenheit gehe stets über alles. "Konfliktpotentiale überspannen wir oder decken sie zu, statt sie auszudiskutieren."

Strobls Devise: Raus zu den Leuten - und dann reden, reden, reden. Peter Hauk, CDU-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag, sagt der SZ: "Wir brauchen eine vertiefte, auch strittige Debatte zwischen den Pros und Contras; die Menschen müssen merken, dass wir mit uns ringen, bevor wir entscheiden." Das sei zwar nicht in großen Krisen möglich. "Aber bei allen anderen Themen brauchen wird das zwingend." Nur so sei eine enge Identifikation mit der CDU wieder möglich.

Hauk beklagt zudem den Umgang mit Kritikern. "Man wird häufig nicht als konstruktiver Kritiker der Sache, sondern destruktiver Kritiker der Parteiführung gesehen." Das müsse sich ändern. "Ein Beleidigtsein ist ein gefährlicher Bremsblock für nötige Diskussionen." Ob die Bundesspitze das auch so sieht? Noch hört man an vielen Stellen, diese Nörgler hätten auch keine Alternativen. Dass was passieren muss, weiß Generalsekretär Gröhe dennoch.

Er kennt die Zahlen, er weiß, dass die CDU organisatorisch wegrutscht. Im Mai ist sie unter die Zahl von 500.000 Mitgliedern gesackt. Die christlichen Arbeitnehmer von der CDA haben gerade noch 10.000 Mitglieder, drei Viertel von ihnen sind über 60. Anderen Vereinigungen geht es nicht besser. Die CDU erlebt einen Aderlass - und hat bislang wenig Mittel, sich dagegenzustemmen. Ihr Mitgliedsmagazin musste sie ebenso einstellen wie ihren Info-Dienst für Mandatsträger. Und wenn stimmt, was zu hören ist, dann sind viele führende Mitarbeiter in der Parteizentrale erschöpft und ausgelaugt. Einer von ihnen spricht rundweg von einem "Organisationseinbruch" bei den Christdemokraten.

© SZ vom 07.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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