Proteste vor Fußball-WM 2014:Brasilien erlebt Nacht der Gewalt

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Die Proteste in Brasilien erreichen eine neue Dimension: Eine Million Menschen gehen landesweit auf die Straßen, friedliche Demonstrationen eskalieren zu Straßenschlachten. Hunderte werden verletzt, ein Mann stirbt. In Salvador brennen Fahrzeuge des Weltfußballverbandes Fifa. Präsidentin Rousseff beruft eine Krisensitzung ein.

Die Proteste in Brasilien weiten sich aus. Schätzungsweise eine Million Menschen gingen in der Nacht zum Freitag in etwa 100 Städten des größten südamerikanischen Landes auf die Straße. Die Demonstranten forderten ein besseres Gesundheits- und Bildungssystem und eine Ende der Korruption.

Vielfach endeten die Demonstrationen in Gewalt. Ein Mensch kam ums Leben, vermutlich Hunderte wurden verletzt. In vielen Städten gerieten die Proteste außer Kontrolle - es kam zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen.

Die größten Proteste gab es in Rio de Janeiro mit etwa 300.000 Menschen. Die Allermeisten demonstrierten völlig friedlich und zogen durch das Zentrum der Stadt in Richtung Amtssitz des Bürgermeisters. Doch die Situation eskalierte, als die Polizei Tränengas-Granaten auf den Protestzug abfeuerte. Anschließend kam es zu Straßenschlachten. Randalierer setzten im Verlauf der Nacht Autos in Brand, rissen Zäune um und steckten Plastikplanen in Brand.

Polizei feuert mit Gummigeschossen auf Demonstranten

Die Polizei war mit berittenen Einheiten und gepanzerten Fahrzeugen im Einsatz und ging brutal gegen die Demonstranten vor. "Die Polizei hat komplett die Kontrolle verloren und ist unfähig, mit solchen Demonstrationen umzugehen", sagte die Kollegin eines TV-Reporters, der durch ein Gummigeschoss am Kopf verletzt wurde. Mindestens 44 Menschen wurden in Rio verletzt, in Brasília mehr als 100. Viele erlitten Verletzungen durch Gummigeschosse der Polizei oder hatten Atemwegsbeschwerden durch Tränengas-Granaten.

Bei Protesten in Ribeirão Preto, rund 300 Kilometer von São Paulo entfernt, wurde ein 18-Jähriger getötet. Ein Autofahrer, der sich offenbar weigerte, an einer von Demonstranten errichten Barrikade zu halten, erfasste ihn mit seinem Wagen. In São Paulo gingen mehr als 100.000 Menschen auf die Straße. Dort verliefen die Proteste weitgehend friedlich.

Tausende Menschen vor dem Außenministerium

Zusammenstöße gab es in mindestens zehn weiteren Städten, darunter in der Hauptstadt Brasília, wo 30.000 Menschen an einen Protestzug durchs Regierungsviertel teilnahmen. Auch dort setzte die Polizei massiv Tränengas und Gummigeschosse ein. Tausende zogen vor das Außenministerium, besetzten dort eine Rampe und zündeten direkt am Ministerium ein großes Feuer an.

Der Historiker Francisco Carlos Teixeira von der Universiät Rio verwies in einem TV-Gespräch auf die breite Agenda der Demonstranten. "Aber das 'Nein zur Korruption' wird von den Allermeisten zuerst genannt. Die Korruption ist die zentrale Frage, und wir haben es hier mit einer nationalen Bewegung zu tun." Er kritisierte die "brutale Antwort" der Polizei auf das Verhalten der Randalierer, bei denen es sich um Autonome und Anarchisten handele. "Wir können Vandalismus nicht mit Vandalismus beantworten."

Fifa-Busse brennen

In Salvador im Bundesstaat Bahia, wo am Donnerstag eine Partie des Confederations Cups ausgetragen wurde, setzten Randalierer einen Bus in Brand und beschädigten zwei Mini-Busse des Fußball-Weltverbandes Fifa.

Die Protestaktionen in mehr als 100 Städten des Landes waren vor allem über das Internet koordiniert worden.

Präsidentin Dilma Rousseff verschob wegen der Demonstrationen eine für Sonntag geplante Reise nach Japan. Die Präsidentin ziehe es derzeit vor, nicht eine ganze Woche außerhalb des Landes zu sein, sagte ihr Sprecher. Auch ein für Freitag geplanter Termin der Staatschefin in Salvador da Bahia wurde abgesagt. Für Freitag berief sie eine Dringlichkeitssitzung in Brasília ein, an der auch Justizminister José Eduardo Cardozo teilnehmen sollte.

© Süddeutsche.de/dpa/jasch - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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