Proteste in Iran:Der Mensch hinter der Ikone

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Demonstrantin oder zufälliges Opfer: Ein tragischer Augenblick machte aus der Studentin Neda Agha-Soltan eine Ikone der Revolte. Doch wer war die junge Frau? Eine Geschichte voller Widersprüche.

Wolfgang Jaschensky

Das Internet beschleunigt die Welt. Kein Tag verging zwischen dem tödlichen Schuss auf Neda und ihrer Ikonisierung in Blogs, Foren und Netzwerken. Keine 24 Stunden dauerte es, bis ihr gewaltsamer, zufällig von einer Handykamera aufgezeichneter Tod im Internet von Millionen Menschen weltweit angesehen und diskutiert wurde. Ganz anders verhält es sich mit den Fakten. 24 Stunden nach dem Tod der jungen Iranerin konnte noch keine verlässliche Quelle die Authentizität des Videos bestätigen.

Wer war Neda? Der Mensch hinter der Ikone wird erkennbar, doch das Bild bleibt unklar. (Foto: Foto: AP)

Das Regime in Teheran schränkt seit Ausbruch der Unruhen nach der Präsidentenwahl die Berichterstattung vor allem ausländischer Medien massiv ein. Reportern wird verboten, direkt von den Straßenprotesten zu berichten. Zudem fürchten viele Angehörige und Freunde Nedas, offen zu sprechen. So mehren sich erst Tage nach dem tödlichen Schuss auf die junge Frau belastbare Informationen über den Hergang der Tat und das Opfer.

Reportern der Los Angeles Times und der New York Times gelang es, mit Angehörigen und Freunden des Opfers zu sprechen. Außerdem hat ein Mann namens Caspian Makan, nach eigenen Angaben der Verlobte der Verstorbenen, der BBC und der Nachrichtenagentur AP ein Interview gegeben. Doch auch diese Äußerungen sind nicht frei von Widersprüchen.

Relativ sicher dürften einige allgemeine Informationen sein: Neda war das zweite Kind der Teheraner Familie Agha-Soltan. Sie war 26 Jahre alt und studierte Islamische Philosophie an der Azad-Universität, bevor sie sich entschied, das Fachgebiet zu wechseln. Ihr neues Ziel war Tourismus. Sie nahm Privatunterricht, um Tour Guide zu werden. Reisen war neben der Musik offenbar Nedas Leidenschaft. Sie war schon in Dubai und Thailand und erst vor zwei Monaten in der Türkei, wo sie offenbar ihren Verlobten kennenlernte.

Jenseits ihrer Vita werden die Informationen widersprüchlicher: Eine zentrale Frage ist, warum Neda auf der Straße war, auf der sie von der Kugel getroffen wurde. Im Internet kursiert seit Tagen neben dem Video, das die Augenblicke unmittelbar vor dem Tod der jungen Iranerin festhält, ein weiteres, das Neda in einer großen Menschenmenge unter Demonstranten zeigen soll. Obwohl sie auf den Bildern keineswegs klar zu erkennen war, genügte dies vielen Sympathiesanten der Revolte, Neda als eine der Ihren zu sehen.

Dieser Einschätzung widersprach wiederum zunächst eine Meldung der BBC. Ihr angeblicher Verlobter Makan sagte, Neda habe nicht an der Demonstration teilgenommen, sondern sich nur in der Nähe der Proteste die Beine vertreten wollen, weil sie im Stau steckten.

Diese Einschätzung wiederum relativiert Hamid Panahi, die bis dato wohl beste Quelle zum Tathergang. Nach Informationen der LA Times ist Panahi Nedas Musiklehrer - und direkter Augenzeuge des Geschehens.

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Mindestens ein Dutzend Tote, Hunderte Verhaftungen und ein Video, das um die Welt geht. Nach einer Woche des Protests in Iran steht nur eines fest: Die Zukunft des Gottesstaates ist ungewiss. Die Krise in Bildern.

Er, Neda und zwei weitere Personen seien zwar im Verkehr auf der Hauptstraße festgesteckt und tatsächlich ausgestiegen, um sich die Beine zu vertreten. Allerdings waren sie auf dem Weg zu einer Demonstration. Die Zeitung zitiert auch eine Freundin, der Neda erzählt hatte, dass sie plane, sich einem Protestmarsch anzuschließen.

Diese Freundin, die ihren Namen nicht preisgeben wollte, gibt auch die deutlichsten Hinweise darauf, dass Neda durchaus eine leidenschaftliche Anhängerin der Revolte war. Nach dem Freitagsgebet, auf dem Ayatollah Chamenei der Opposition explizit weitere Demonstrationen verboten hatte, warnte sie Neda in einem Telefonat davor, am folgenden Tag auf die Straße zu gehen. Dann habe Neda die prophetischen Worte gesagt: "Hab keine Angst. Es ist nur eine Kugel, dann ist es vorbei."

Ihr angeblicher Verlobter Makan, ein 37-jähriger Fotojournalist aus Teheran, sagte zur Nachrichtenagentur AP, Neda habe keine Angst gehabt, an den Protesten teilzunehmen. "Sie hat immer nur gesagt, dass sie eine Sache wollte: Sie wollte Freiheit und Demokratie für das iranische Volk."

In den Tagen vor ihrem Tod hätten sie darüber gestritten, dass sie an den Demonstrationen teilnehmen wollte. Er habe sie davon abbringen wollen, auf die Straße zu gehen, weil er bei seiner Arbeit als Journalist einiges an gnadenlosem Vorgehen gesehen habe.

Keine öffentliche Trauer

Auch gegenüber Makan sprach Neda angeblich von einer tödlichen Kugel: "Sie sagte, unsere Teilnahme wäre es wert, selbst wenn eine Kugel mich ins Herz trifft", so Makan. "Und genau so ist sie gestorben. Eine Kugel traf ihr Herz und ihre Lunge, und fünf oder sechs Minuten später ist sie gestorben." Makans Aussage über ihren Tod deckt sich weitgehend mit den Aussagen Panahis: Neda sei auf dem Weg in das Shariati-Krankenhaus gestorben.

Von mehreren Quellen bestätigt ist, dass Nedas Familie in aller Stille trauern musste. Die Familie bestattete Neda am Sonntag auf einem Friedhof im Süden Teherans, eine Trauerfeier in einer Moschee hatten die Behörden aus Angst vor unerwünschter Aufmerksamkeit nicht erlaubt. Offenbar lösten die Polizei und Milizen an mehreren Orten in Teheran spontane Trauerfeiern für Neda auf.

Ungeklärt bleiben wird wohl die Frage nach dem Täter. Während mehrere Augenzeugen Bassidschi-Milizen gesehen haben wollen, streut das Regime über den Sender Khabar seine Version der Dinge: Es sei offensichtlich, dass diejenigen, die die Aufnahmen machten, auf etwas gewartet hätten und das Ganze dann aus mehreren Winkeln gefilmt hätten.s

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