Auch in Donezk hat es Demonstrationen gegeben. Seit der Absage an die EU im November versammelten sich täglich Menschen vor der Regionalverwaltung um das Denkmal des Nationaldichters Taras Schewtschenko. Zwei Monate lang sei alles friedlich verlaufen, sagte Bogatschow, doch als ein Oppositionspolitiker anregte, nach dem Vorbild des Kiewer Auto-Maidans im Konvoi zur Villa von Janukowitschs Frau Ljudmila zu fahren, kippte die Stimmung. "Hier ist die Heimat von Janukowitsch, die Menschen haben ihn gewählt, das hat sie sehr aufgebracht. Was hat seine Frau mit der Politik zu tun?"
In Blogs örtlicher Aktivisten kann man Bilder von diesen angeblich aufgebrachten Menschen sehen: Es sind junge, durchtrainierte Männer in Trainingsanzügen, die mit Fäusten auf Demonstranten losgehen. Nachdem im Internet Steckbriefe der Donezker Maidan-Organisatoren veröffentlicht wurden - mit Fotos, Geburtsdatum und vollständiger Meldeadresse, wie sie eigentlich nur die Behörden kennen können, da wurden die Treffen unterbrochen.
Maxim Kasjanow sagt, er kenne die Männer gut, die auf ihn und seine Freunde losgegangen seien. Er berichtet seit vielen Jahren als Journalist über Korruption und Kriminalität in Donezk. Der 36-Jährige war vom ersten Tag an auf dem Donezker Maidan, so wie Ira in Saporoshie.
Mal waren sie nur eine Handvoll, mal war der Platz vor der Regionalverwaltung rund um die Uhr besetzt. Kasjanow trägt Schienbeinschoner unter seiner weiten Schneehose und einen Brustpanzer für Motorradfahrer. Sein Name steht auch auf der Liste im Internet. Als "Amerikanische Propagandisten" und "Extremisten" werden er und seine Mitstreiter diffamiert. Die Schläger seien immer die gleichen, sagt Kasjanow, offenbar gehörten sie zu einer Bande, die Geld für Übergriffe nehme. Umgerechnet 35 Euro bekämen sie für ihren Einsatz, schätzt der Journalist, mit Körperverletzung werde es teurer.
Maxim aus dem Osten hält vorläufig die Stellung in einer Stadt, die von der Revolution nichts wissen will. In Lemberg, im Westen der Ukraine, sitzt Sofia Opatska in ihrem Universitätsbüro und versucht, die Revolution am Leben zu halten, während sie hilft, wo sie kann. Die Dekanin der Lviv Business School ist Teil eines Netzwerks, das Aktivisten aus dem Rest des Landes unterstützt. Soweit ist es mittlerweile gekommen: Ukrainer sind auf der Flucht vor anderen Ukrainern - so wie Ira.
In Lemberg - ukrainisch Lwiw - hängt ein Banner am Rathaus: Freie Stadt, freie Bürger. In dieser Stadt mit knapp 750 000 Einwohnern, davon 180 000 Studenten, hat die Revolution gar nicht wirklich stattgefunden, weil sie nicht stattfinden musste. Der lokale Maidan auf der Freiheitsstraße ist verwaist, weil alle, die weg können, sowieso regelmäßig nach Kiew fahren. Hier seien, sagt Sofia Opatska, sowieso alle einer Meinung: Das Regime müsse weg, Demokratie müsse her. So wie das in Lemberg gefühlt sowieso schon der Fall ist.
Kiew ist Frontstadt, der Westen der Ukraine ist Etappe
Die Westukraine wurde erst mit dem Zweiten Weltkrieg sowjetisch, davor gehörte sie zur Habsburger Donaumonarchie, davor zu Polen. Hier wurde schon immer antirussisch gewählt. Hier ist man oppositionell, katholisch, patriotisch. Von hier stammen die Nationalisten, die derzeit in Kiew Randale machen. Und die kämpfen wollen bis zum bitteren Ende.
Aber warum hat auch Sofia Opatska Tränen in den Augen? Sofia hat kleine Kinder, deshalb steht sie selbst nicht in Kiew auf dem Maidan. Aber auch von Lemberg aus kann man die Revolution unterstützen; fast die ganze Stadt tut das. Kiew ist Frontstadt, der Westen der Ukraine ist Etappe. Hier geben die Firmen ihren Leuten gern frei, wenn die demonstrieren fahren wollen, Freiwillige sammeln Kleider, Lebensmittel, Geld. Hier werden Busfahrten für Demonstranten organisiert, in Lemberg produzieren Unterstützer Schutzkleidung für Kiew.
Lemberger Krankenhäuser behandeln jene Verletzten, die sich in Kiew nicht zum Arzt trauen, weil die Sondereinheiten Verletzte dort schon mal von der Trage weg verhaften. In Lemberg hat sich die Polizei vor das Volk gestellt: Sie hat versprochen, nicht gegen Ukrainer in den Kampf ziehen. Hier suchen Aktivisten wie Ira Schutz, die sich daheim, im Janukowitsch-Land im Osten, nicht mehr sicher fühlen.