Protest gegen Kapitalismus:Von Occupy zu Blockupy

Die Aktivisten von Occupy haben in der Finanzkrise heiß diskutiert. Jetzt lässt Blockupy die Fäuste sprechen. Was ist aus den Demonstranten von einst geworden? Eine Spurensuche in den Zentren des Kapitals.

Von SZ-Autoren

Einfach mal die Schulden streichen

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Die Karriere der Worte "Occupy" und "Blockupy" begann am 17. September 2011. An dem Tag besetzten ein paar linke Aktivisten den Zuccotti-Park im Süden Manhattans, errichteten Zelte, rollten ihre Schlafsäcke aus und nannten das Ganze "Occupy Wall Street". Die Besetzung war eine geniale Marketing-Idee des Konsumkritikers Kalle Lasn, was man auch daran merkt, dass die Parolen vom Zuccotti-Park zum Gemeingut von Protestierern und anderen rund um den Globus wurden: "Wir sind die 99 Prozent" und eben "occupy" in allen Variationen. Das schweizerische Generalkonsulat in New York zum Beispiel überschrieb eine Veranstaltung zum 300. Geburtstag des berühmten Genfers Jean-Jacques Rousseau mit: "Occupy Rousseau". Die Occupy-Bewegung selbst, wenn es denn je eine war, endete am 15. November 2011, als die New Yorker Polizei das Camp nach erheblichen Problemen, mit Dreck, Drogen und sexueller Belästigung räumte. Unzählige linke Gruppen nahmen sich des Namens an und nutzen dessen Symbolkraft. Am nächsten steht den Intentionen der ersten Besitzer und ihrer Vordenker eine relativ unscheinbare Initiative in New York namens "Strike Debt". Deren Ziel ist es, verschuldete Menschen tatsächlich konkret zu entlasten. Ein Broker kauft verbriefte Schuldtitel aus dem Sekundärmarkt (also nicht vom Emittenten der Schuldtitel). Dahinter können zum Beispiel Krankenhausschulden von armen Patienten stehen. Die Titel werden dann vernichtet und der Schuldner bekommt einen Brief, der ihn von dem Deal unterrichtet. Das Geld für die Entschuldung kommt über Spenden herein. Nach eigenen Angaben hat Strike Debt bisher 701 317 Dollar an Spenden gesammelt und 31,9 Millionen Dollar an Schulden gestrichen. Die Diskrepanz der Zahlen rührt daher, dass Strike Debt Schuldtitel mit hohem Nennwert erwirbt, die aber nur noch für ein paar Dollar gehandelt werden, weil niemand mehr damit rechnete, überhaupt nur einen Cent dafür zu bekommen. Gegründet wurde Strike Debt von dem Aktionskünstler Thomas Gokey. Nikolaus Piper

"Occupy hat sich totdiskutiert"

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Protestforscher Dieter Rucht, 68, ist Professor für Soziologie an der FU Berlin. Er war Ko-Leiter der Forschungsgruppe Zivilgesellschaft, Citizenship und politische Mobilisierung in Europa am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung: "Blockupy ist keine Bewegung, die Tag für Tag aktiv ist. Der Name ist eine Abwandlung von Occupy. Das ist ja ein sehr bekannter und zugkräftiger Begriff. Aber Blockupy hat fast nichts mit Occupy gemeinsam. Occupy war eine relativ spontane Bewegung von Leuten, die vor allem Camps in den USA, in Deutschland und anderen Ländern Europas organisiert haben. Bei Occupy gab es kaum Gewaltakte. Sie wollten durch Präsenz auf besetzten Plätzen öffentliche Aufmerksamkeit für ihr Anliegen einer gerechten Weltordnung erzeugen. Darüber hinaus ist nicht viel entstanden. Das liegt auch daran, dass Occupy jegliche Strukturbildung abgelehnt hat. Es sollte keine Sprecher und keine Hierarchien geben. Jeder konnte reden, wann und wie lange er wollte. Das hat zu endlosem Palaver geführt. Occupy hat sich totdiskutiert. Die Leute sind in der Versenkung verschwunden. Als eine Bewegung spielt Occupy in Deutschland keine Rolle mehr. Blockupy hingegen ist ein Bündnis linker Gruppierungen, man könnte sagen: der üblichen Verdächtigen. Bereits bestehende Organisationen haben eine lose Allianz gebildet, um die Austeritätspolitik speziell der EU zu kritisieren und zu bekämpfen. Blockupy ist ein kapitalismuskritisches Bündnis; die derzeitige Form des Kapitalismus wird massiv kritisiert. Aber nur ein Teil dieses Bündnisses verfolgt eine dezidiert antikapitalistische Stoßrichtung, will also diesen Kapitalismus in toto beseitigen und durch eine ganz andere Gesellschaftsordnung ersetzen." Protokoll: Melanie Ahlemeier

Singen gegen den Turbo-Kapitalismus

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(Foto: REUTERS)

Fukushima, Elektroschrott, Fleischproduktion, Erdölkonzerne und die Macht der Banken - die Liste der zu bekämpfenden Gegner, die Occupy Zureich nennt, ist eindrucksvoll. Das Zureich erinnert an Hausbesetzer und Autonome, den schwarzen Block, der auch in Zürich gelegentlich die Straßen verwüstet. Am Telefon ist dann eine freundliche Frau, Myriam Rudin. Sie sei etwas über 60, sagt Rudin, und überhaupt keine Freundin von Gewalt. Zwar sei man mit den Occupy-Bewegungen in ganz Europa solidarisch, jedoch: Steine schmeißen und Autos anzünden, das hält die Frau, die nun fast alleine Occupy Paradeplatz repräsentiert, für falsch. Ihr Weg? Sie und vier bis fünf andere "mittelalte Frauen" treffen sich einmal im Monat auf dem Zürcher Paradeplatz, wo seit mehr als hundert Jahren Schweizer Banken Geschäfte machen, einige davon mit Steuerhinterziehern, Drogenbaronen und Diktatoren. Dort singen sie, Monat für Monat, mit selbst geschriebenen Liedern gegen den Turbo-Kapitalismus an. "Es ist schon peinlich, dass sich die Schweizer so auf ihrem Reichtum ausruhen", kommentiert Rudin das zurück gegangene Engagement ihrer Landsleute. Von den ehemals großen Demonstrationen sei aber dennoch mehr übrig als das monatliche Musizieren. "Es gibt Hausbesetzer-Projekte, Selbstversorger Wohngemeinschaften, feministische Diskussionen. Die Occupy-Bewegung hat sich in viele kleine Bewegungen aufgesplittert", sagt Rudin. Sie selbst lebe "recht normal", gehe containern oder versorge sich übers Urban Gardening. Auch beim Prozess gegen Ruedi Elmer, wie Myriam Rudin den Schweizer Whistleblower liebevoll nennt, konnte man den harten Kern der Schweizer Occupy-Bewegung beobachten: Selbst gemalte T-Shirts mit der Aufschrift "Free Whistleblower" zierten die Unterstützer-Kurve des früheren Julius-Bär-Mitarbeiters. Es sei ein Skandal, wie die Enthüllungen Elmers in Zürich totgeschwiegen werde, findet Rudin. In dieser Sache allerdings gibt es Hoffnung für den Schweizer Occupy-Ableger: Rudolf Elmer kandidiert im April für die Alternative Liste im Kanton Zürich. Charlotte Theile

"Den Sinn hinter brennenden Autos sehe ich nicht"

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Thomas Occupy, 55, glaubt nicht an hierarchiefreie Systeme. Trotzdem engagiert er sich seit dem Jahr 2011 bei den Kapitalismusgegnern. Drei Mal sei er reich gewesen. Was in der Zwischenzeit passiert ist, wie er wirklich heißt und wovon er heute lebt, sagt er nicht: "Innerhalb der Occupy-Bewegung haben wir in Frankfurt vergleichsweise viel Einfluss - hier steht nun mal die EZB-Zentrale. Wir arbeiten immer ohne hierarchische Strukturen, deshalb bin ich zwar Sprachrohr, rede aber immer als Aktivist. Was uns alle eint, ist das Gefühl der Ungerechtigkeit. Bei uns gehen Millionäre neben Arbeitslosen auf die Straße, weil sie alle finden, dass es so nicht weitergeht. Als wir 2011 über einen Forderungskatalog nachdachten, haben wir basisdemokratisch Ideen zusammengetragen. Es kamen mehr als 140 Punkte zusammen. Da ging es um Machteliten, Realwirtschaft oder Imperialismus. Wir verstanden, dass es zu komplex ist. Deshalb, und wegen der Hierarchielosigkeit, vertritt Occupy keine konkreten politischen Forderungen. Was Occupy heute noch ausmacht, ist einerseits das Label und andererseits die Idee in den Köpfen. Es würde ein Aufruf genügen und sofort hätten wir eine neue Asamblea, also eine Versammlung aller interessierten Occupy-Aktivisten. Unser Ziel war, ist und bleibt es, die Entscheidungsträger dazu zu bringen, langfristig und im Sinne des Gemeinwohls zu handeln. Deshalb waren wir von Anfang an bei Blockupy: Als Bündnis haben wir mehr Einfluss. Den tieferen Sinn hinter brennenden Autos sehe ich - wie so viele - nicht. Aber es verschafft uns nun mal auch Raum in der öffentlichen Wahrnehmung." Protokoll: Hanna Maier

Stadtführungen im Reich des Bösen

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(Foto: Getty Images)

Jetzt war die LSE dran. Mitte der Woche besetzten etwa 40 Studenten einen Raum der Universitätsverwaltung an der London School of Economics and Political Science. Sie protestieren damit unter anderem gegen die gesalzenen Studiengebühren. Ihr Motto: "Occupy LSE". Es ist schon drei Jahre her, dass die Polizei das Zeltlager der Occupy-Aktivisten an der St.-Paul's-Kathedrale in Londons Finanzdistrikt räumte. Aber die Bewegung ist deswegen nicht verschwunden. Occupy London besteht weiter als loser Verbund von Protestgruppen, die sich verschiedenen Themen widmen. Die Mitglieder tauschen sich über die Internetseite von Occupy London aus oder auf Vollversammlungen, welche die Bewegung immer noch abhält. Auch die kleine Zeitung The Occupied Times of London hat überlebt, die in den ersten Tagen der Besetzung von St. Paul's gegründet wurde. Die jüngste 20-seitige Ausgabe ist allerdings ein halbes Jahr alt. Die Gruppe, die im Moment wohl am meisten auf die Beine stellt, ist Occupy Democracy. Sie besetzte im Oktober kurzzeitig den Parliament Square, den Platz vor dem Palace of Westminster, in dem die Abgeordneten tagen. Vom 1. bis 10. Mai wollen die Aktivisten dort wieder ckampieren - viel Medienecho wird ihnen sicher sein, denn am 7.Mai wählen die Untertanen Ihrer Majestät ein neues Parlament. Occupy Democracy beklagt, Banken und Konzerne nähmen zu viel Einfluss auf die Volksvertretung. Teil der Occupy-Bewegung ist auch eine Gruppe, die kostenlose Stadtführungen anbietet. Occupy London Tours nennt sie sich, und bei den Spaziergängen durch das neue Bankenviertel Canary Wharf und das alte Finanzzentrum, die City of London, erfahren die Teilnehmer, wo welches Institut sitzt und was seine Rolle in der Finanzkrise war. Eine Tour durch den Stadtteil Mayfair widmet sich Hedgefonds. Unter dem Schlagwort Occupy findet also weiterhin vieles statt in London. Doch Einfluss auf die Politik oder die öffentliche Meinung zu nehmen, gelang der Bewegung nicht: Im Wahlkampf spielen Occupys antikapitalistische Forderungen keine Rolle. Björn Finke

© SZ vom 21.3.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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