Protektionismus:Schlimmer als der Hähnchenkrieg

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov)

Freihandel war auch eine Lehre aus der Geschichte. Nach dem Weltkrieg sollte er Wohlstand schaffen - und neue Despoten verhindern.

Von Nikolaus Piper

Um zu verstehen, was der neue amerikanische Präsident aufs Spiel setzt, sollte man zurückblicken in den Sommer des Jahres 1941: Hitlerdeutschland beherrschte Europa, der Überfall auf die Sowjetunion hatte gerade begonnen, nur Großbritannien hielt der Aggression stand. In dieser Situation begann der britische Ökonom John Maynard Keynes seine Arbeit an Plänen für eine neue Weltwirtschaftsordnung nach dem Krieg.

Sein Problem: Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers hatte Deutschland, anders als die westlichen Demokratien, die Arbeitslosigkeit schnell beseitigt. Eine der Gründe dafür war, dass die Deutschen wieder Zugang zu ihren alten Exportmärkten in Osteuropa und Südamerika erhielten, und das, obwohl die Reichsmark außerhalb des Deutschen Reiches wertlos war. Der Trick waren bilaterale Handelsverträge, die der damalige Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht entworfen hatte. Nach diesen Verträgen konnten beide Seiten Exporte und Importe gegeneinander verrechnen, ohne dass dazu Geld über die Grenzen floss. Sie waren zwar meist ungerecht, aber sie erfüllten ihren Zweck. Dagegen war der Handel zwischen den USA, Großbritannien, Frankreich und anderen Staaten nach einem radikalen Zollerhöhungsgesetz der Amerikaner von 1930 praktisch zum Erliegen gekommen.

Keynes' Idee war es, das Schacht'sche System zu demokratisieren und zu globalisieren. Er erfand eine internationale "Clearing-Union", über die alle Staaten gleichberechtigt ihren Außenhandel abwickeln sollten. So wollte Keynes Handelskriege ausschließen. Es war eine kühne Idee. Zwar wurde die Clearing-Union nie Wirklichkeit, bei der Konferenz von Bretton Woods 1944 setzten die USA stattdessen ihr Konzept eines Internationalen Währungsfonds samt Weltbank durch. Aber ein Grundgedanke blieb: Um Despotien zu verhindern, musste der Welthandel durch Institutionen geschützt werden. Zum IWF, einer Art Versicherung gegen ruinöse Abwertungswettläufe, kamen 1947 noch das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (Gatt) und 1995 die Welthandelsorganisation (WTO).

Trotz aller Konflikte hat diese Ordnung gehalten, jahrzehntelang

Die nach dem Krieg geschaffene Ordnung war alles andere als harmonisch, immer wieder kam es zu größeren Handelskonflikten. Berühmt wurde der Hähnchenkrieg von 1964 zwischen den USA und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), bei dem es um europäische Einfuhrzölle auf Geflügel ging. Aber die Ordnung hielt. Von 1948 bis 1995 verhundertfachte sich das Volumen des Welthandels, seit Gründung der WTO vervierfachte es sich nochmals. Die konfliktreiche Ordnung funktionierte, weil die Vereinigten Staaten, wiewohl nicht sündenfrei in Sachen Protektionismus, im Zweifel immer für offene Märkte eintraten.

Das ändert sich jetzt. Donald Trump hat nicht nur die Trans-Pazifische Partnerschaft (TPP) aufgekündigt und das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) mit Mexiko und Kanada infrage gestellt, er fordert auch die WTO heraus. Sämtliche neuen Zölle, über die er twitterte, würden gegen WTO-Regeln verstoßen, die Idee, Mexiko mit der Androhung von Zöllen zu zwingen, eine Grenzmauer zu den USA zu finanzieren, ist abenteuerlich.

Das zentrale Prinzip der WTO-Handelsordnung ist das der Nichtdiskriminierung: Ausländische Waren müssen gleich behandelt werden wie inländische. Vorteile, die ein Land einem anderen gewährt, muss es für alle Handelspartner anwenden (Prinzip der "Meistbegünstigung"). Zum Schutz einer Industrie sind zwar Zölle erlaubt, einmal erhobene Zölle dürfen aber nur noch gesenkt werden. Fühlt sich ein Land zu Unrecht mit Zöllen belegt, kann es vor einem Schiedsgericht der WTO klagen. Bekommt es recht, darf es sich seinerseits mit Zöllen wehren. In Mexikos Regierung dürften sich die Juristen jetzt auf diesen Fall vorbereiten. Wobei offen ist, ob die Regierung Trump die WTO überhaupt noch respektiert.

Die Prinzipien sind nichts anderes als die praktische Umsetzung dessen, was die Klassiker der Nationalökonomie, vor allem Adam Smith und David Ricardo, über die Vorteile der Arbeitsteilung und des Freihandels gelehrt hatten. Wenn jeder das tut, was er am besten kann und wenn jeder das kaufen darf, was ihm am meisten nützt, dann geht es allen besser. Außerdem ist freier Handel eine Methode, Frieden zu wahren.

Proteste gegen den Freihandel sind populär, von rechts wie von links

Die liberale Handelsordnung hat Wohlstand geschaffen, populär war sie nie. Das hängt mit einer besonderen Asymmetrie zusammen. Handel produziert zwar in der Regel mehr Gewinner als Verlierer, die Verlierer sind aber leichter zu organisieren. Wenn ein Ford-Werk von Kentucky nach Mexiko verlagert wird, dann verlieren die Arbeiter dort schnell ihren Job. Die neuen Jobs, die infolge des Handels mit Mexiko irgendwo entstehen, kommen erst noch, ihre Inhaber kann man nicht organisieren.

Proteste gegen den Freihandel und die Prinzipien der WTO sind daher beliebt, von rechts wie von links: Japanische Reisbauern, amerikanische Gewerkschafter, deutsche Umweltschützer und andere mehr gehören dazu. Nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Kommunismus nahmen die Proteste massiv zu. Der Eintritt der Volksrepublik China in die Weltwirtschaft bewirkte besonders in den USA massive Verwerfungen. Gleichzeitig ersetzte die traditionelle Linke den Kampf für den Sozialismus durch den gegen die Globalisierung. Einen ersten Höhepunkt erreichte die Protestwelle 1999 mit den gewalttätigen Demonstrationen gegen eine WTO-Ministerkonferenz in Seattle.

Eine besondere Rolle spielte die nordamerikanische Freihandelszone Nafta. Sie wurde von Anfang an bekämpft, von Gewerkschaftern, linken US-Demokraten und rechten Populisten. In Mexiko rief die Guerillagruppe der Zapatistas zum Inkrafttreten von Nafta am 1. Januar 1994 den Krieg gegen die mexikanische Regierung aus. In den Vereinigten Staaten kandidierte der exzentrische Milliardär Ross Perot als Unabhängiger bei den Präsidentschaftswahlen 1992, um Nafta im letzten Moment noch zu verhindern. Trump ähnelt in vielem Ross Perot. Im Wahlkampf forderte er: "Wir müssen den Export von Jobs ins Ausland verhindern." Ironie der Geschichte: Die Kandidatur Perots sicherte Bill Clinton die Präsidentschaft; der unterzeichnete dann Nafta. Bezeichnend, dass Gegner und Befürworter bis heute darüber streiten, ob Nafta für die Menschen ein Segen oder ein Unglück war.

Massive Proteste gab es zuletzt gegen das geplante transatlantische Freihandelszone TTIP und das Ceta-Abkommen zwischen der EU und Kanada. In Deutschland demonstrierten im Herbst Hunderttausende, in Österreich mobilisierte die rechtspopulistische FPÖ Mehrheiten gegen den Freihandel. Mit dem Amtsantritt von Donald Trump hat sich das Thema nun erst mal erledigt.

Vielleicht wird der liberalen Weltwirtschaftsordnung ihr Erfolg zum Verhängnis: Die Erfolge - Wohlstand und Wahlfreiheit in den Industrieländern, wachsende Einkommen in früheren Entwicklungsländern - werden als selbstverständlich hingenommen. Verlorene Arbeitsplätze werden ihr dagegen zur Last gelegt, auch wenn sie infolge des technischen Fortschritts weggefallen sind. Vielen Regierungen ist vorzuhalten, dass sie sich zu wenig um die Opfer der Digitalisierung gekümmert haben. Nun ist die alte Ordnung in höchster Gefahr. Wenn die Menschen erst einmal merken, dass es ohne grenzenlosen Handel noch viel schlimmer wird, dann ist es vermutlich zu spät.

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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