Profil:Valery Tscheplanowa

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(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Die Schauspielerin des Jahres 2017 spielte Gretchen und Helena im "Faust".

Von Sonja Zekri

Sie spielt auch Männerrollen überzeugend, den Franz Moor in Ulrich Rasches monumentaler Inszenierung von Schillers "Die Räuber", oder den gequälten Künstler in Philipp Preuss' Inszenierung von Goethes "Torquato Tasso", beides am Münchner Residenztheater. Aber zur Schauspielerin des Jahres wurde Valery Tscheplanowa in Berlin durch eine Rolle, in der sie das ewig Weibliche verkörperte: das Gretchen in Frank Castorfs Abschieds-"Faust" an der Volksbühne. Sieben Stunden, zwei Rollen - Tscheplanowa spielt auch die Helena im zweiten Teil. Und nach der zweiten Vorstellung riss ihr Kreuzband. Sie spielte weiter, Kniemanschette an einem Bein, Stiletto am anderen; Selbstbeherrschung ist ihr wichtig. Sich nicht zu brüsten, ebenfalls. Sie habe, sagt sie, "keinen angeborenen Veräußerungsdrang".

Für eine Schauspielerin, die ein solch inneres Leuchten, eine solche Intensität auf der Bühne entwickelt wie Valery Tscheplanowa, klingt das wie ein Widerspruch. In Wahrheit ist es eine subtile Methode, um die Wirkung zu steigern und zu steuern.

Spielen, das ist bei Valery Tscheplanowa immer auch und vor allem: Sprechen. In einer Zeit von Performance-, Diskurs- und Bürgertheater, von Verfremdung, Mikroports und Mehrsprachigkeit auf den Bühnen gilt sie als Präzisionsarbeiterin unter den Artikulationskünstlern. Sie spricht die klassischen Theatertexte - selbst die nur gewisperten - kühl, frisch, federnd, als wären sie gerade fertig geworden.

Man spürt, nein, keinen Akzent, aber eine papierdünne Distanz, eine Überraschung und Begeisterung über das, was diese Sprache alles zu bieten hat, denn Deutsch ist nicht ihre Muttersprache. Valery Tscheplanowa ist nicht mit Schiller und Goethe aufgewachsen, sondern mit den Gleichungen ihres Vaters, eines russischen Mathematikers, die sie mit ihm in den Achtzigern in der russischen Provinz löste.

Geboren wurde sie als Weronika Walerijewna Tscheplanowa in Kasan an der Wolga, das heute die Hauptstadt der russischen Republik Tatarstan ist und damals, 1980, eine Stadt in der Sowjetunion war. Dort wuchs sie auf, in einem Dorf in der Nähe, auch im Häuschen ihrer Urgroßmutter, sie liebte Mathematik und Latein. Mit acht Jahren zog sie mit ihrer Mutter nach Deutschland, in den Norden. Sie lernte Tanz an der Palucca-Schule in Dresden, dann drei Semester Puppenspiel an der Ernst-Busch-Hochschule in Berlin, wo sie dann doch eine Schauspiel-Ausbildung machte. In einem Fall völliger Fehleinschätzung hatte man ihr dort gesagt: "Du kannst nicht verführen." Seitdem beweist sie mit jedem Stück das Gegenteil, am Deutschen Theater in Berlin, am Schauspiel Frankfurt, mit Regisseuren wie Dimiter Gotscheff und Jürgen Gosch, Michael Thalheimer und Amélie Niermeyer. Seit 2013 spielte sie am Residenztheater in München, geliebt von den Münchnern, gefeiert von der Kritik. Dann löste sie ihren Vertrag. Wer sie noch sehen will, muss sich beeilen.

© SZ vom 01.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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