Profil:Theresa May

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Britische Regierungschefin, von der man noch nicht weiß, wofür sie steht. (Foto: AFP)

Britische Regierungschefin, von der man noch nicht weiß, wofür sie steht.

Von Christian Zaschke

Zu Theresa Mays ersten Amtshandlungen als britische Premierministerin gehörte die Umgestaltung ihres Büros. Ihr Vorgänger David Cameron empfing dort Gäste auf einem gemütlichen Sofa. May ließ das Sofa entfernen und durch einen Glastisch ersetzen. Damit machte sie klar: Sie steht nicht für Gemütlichkeit, sie steht dafür, dass die Arbeit gemacht wird.

In ihren sechs Jahren als Innenministerin hatte sie sich den Ruf erworben, extrem fleißig zu sein und sich selbst für die entlegensten Details zu interessieren. Sie prüft und prüft und wägt und prüft erneut, bevor sie entscheidet . Von ihren Mitarbeitern forderte sie regelmäßig mehr Akten. Selbst ihre Anhänger bezeichnen sie als Kontrollfreak. Seit einem halben Jahr sitzt sie nun in der Downing Street, und wie zu hören ist, hat sich an ihrer Vorliebe fürs Mikromanagement nichts geändert. Berichte von Mitarbeitern müssen früher abgegeben werden als zu Camerons Zeiten, damit die Chefin diese abends noch sorgfältig studieren kann.

In Westminster wird die Frage gestellt, ob diese Eigenschaft ihr zugute kommt oder im Weg steht. Auch im Innenministerium war viel zu tun, aber die Themenfülle war vergleichsweise überschaubar. Als Premierministerin fühlt sich May für alles zuständig, und dann ist da neben der täglichen Regierungsarbeit noch die nicht ganz unerhebliche Aufgabe, den Austritt aus der Europäischen Union zu bewerkstelligen. "Brexit heißt Brexit" sagt May wieder und wieder, und niemand weiß, was das konkret bedeuten soll. Die meisten Beobachter sind der Ansicht, dass May selbst nicht weiß, wie der Brexit aussehen soll, weil das Thema viel zu komplex ist, um es auf die Schnelle zu überblicken. Ihr Botschafter in Brüssel, Ivan Rogers, ist in dieser Woche zurückgetreten und hat in einem Brief an seine Mitarbeiter verlauten lassen, dass es keinen Plan für den Brexit gebe. Rogers galt als einer der größten Brüssel-Kenner des Landes, sein Rücktritt stand May nicht gut zu Gesicht. Ausnahmsweise reagierte die Premierministerin rasch und ernannte Tim Barrow zu Rogers' Nachfolger, einen erfahrenen Diplomaten, der unter anderem Botschafter in Moskau war und als harter Verhandler bekannt ist. Er gilt als gute Wahl. Bis Ende März will May Brüssel auch offiziell vom Austrittswunsch der Briten unterrichten. Damit begänne die auf zwei Jahre begrenzte Phase der Verhandlungen, in denen die Details der Scheidung festgelegt werden. Eine große Priorität Mays ist die Kontrolle der Einwanderung, dieses Thema lag ihr schon als Innenministerin am Herzen. Ganz wichtig ist ihr zudem, dass der EU-Gerichtshof künftig keinen Einfluss mehr auf britisches Recht hat. Es gilt als wahrscheinlich, dass Großbritannien aufgrund dieser Prioritäten Mays nicht länger Teil des europäischen Binnenmarkts bleiben kann.

Zu den weiteren Aufgaben, mit denen May sich in diesem Jahr konfrontiert sieht, zählt die Herausforderung, das Vereinigte Königreich zusammenzuhalten. In Schottland, wo eine Mehrheit gegen den Brexit gestimmt hat, gibt es Bestrebungen, erneut ein Referendum über die Unabhängigkeit abzuhalten. In Nordirland, wo künftig die Landgrenze zur EU verlaufen wird, gilt es, den brüchigen Frieden zu bewahren. Nicht zu vergessen die Zerrissenheit in England: Immerhin hat auch hier knapp die Hälfte der Menschen gegen den Brexit gestimmt, und die Stimmung zwischen beiden Lagern ist angespannt. May, die offiziell gegen den Brexit war, müsste versöhnen.

Normalerweise haben sich Chefs von Regierungen in einem Wahlkampf mit einem Programm um den Posten beworben, man weiß also grob, wofür sie stehen. May kam ins Amt, weil David Cameron nach dem EU-Referendum zurücktrat und andere Bewerber um seine Nachfolge sich selbst erledigten. Bisher ist noch nicht zu sehen, wofür Theresa Mays Regierung steht, doch mit ziemlicher Sicherheit wird 2017 das Jahr sein, in dem sich das ändert.

© SZ vom 07.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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