Profil:Paolo Gentiloni

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Der italienische Premier ist vielleicht doch mehr als Matteo Renzis Platzhalter.

Von Oliver Meiler

Paolo Gentiloni würde es wohl nicht stören, wenn man ihn einen nüchternen, netten Herrn nennen würde, obschon solche Prädikate unerhört altmodisch klingen in diesen aufgeregten Zeiten. Doch Italiens neuer Premier ist nun mal ein ausnehmend netter und nüchterner Herr. Sogar etwas phlegmatisch und monoton wirkt er, rhetorischen Blüten entsagt er. Kaum zu glauben, dass dieser 62-jährige Römer aus aristokratischem Geschlecht als Jugendlicher der extremen Linken anhing und als rebellischer Anführer die Besetzung seines Gymnasiums organisierte. Der junge Graf auf den Barrikaden - ein schräges Bild.

Das Erstaunen war groß, als Gentiloni nach Matteo Renzis Rücktritt im Dezember Regierungschef wurde. Andere hatten als aussichtsreicher gegolten. Von Gentiloni wusste man nicht einmal, dass er sich für das Amt interessieren könnte. Zuvor war er als Außenminister ein stiller Weggefährte Renzis gewesen, ein "Renzianer" durch und durch. Es hieß darum maliziös, er sei höchstens ein Übergangspremier.

Nun aber könnte es sein, dass er ganz aus dem Schatten Renzis tritt. Vielleicht schafft es Gentiloni sogar, bis zum regulären Ende der Legislaturperiode zu regieren - bis Februar 2018. Das hängt wesentlich davon ab, wie die Politik nun auf ein Urteil des Verfassungsgerichts reagiert. Die Obersten Richter haben Teile des Wahlgesetzes für die Abgeordnetenkammer für verfassungswidrig erklärt. Müsste es neu formuliert werden, bräuchte das viel Zeit. Baldige, vorgezogene Neuwahlen wären dann ausgeschlossen. Im Volk kommt Gentiloni gut an. Das hat viel mit dem Vorgänger zu tun: Er ist der perfekte Gegenentwurf zum dauerpräsenten, dauertwitternden, selbstgefälligen Renzi. Es ist, als nähmen die Italiener diese plötzliche Langeweile an der Regierungsspitze wie eine Wohltat wahr. Anders als Renzi versteht sich Gentiloni mit den politischen Gegnern. Unlängst bangte das Land mit ihm. Nach dem Antrittsbesuch in Paris erlitt er einen Schwächeanfall und musste am Herzen operiert werden - nichts Schlimmes, aber doch ein Notfall. Die Medien lobten, Gentiloni habe kein Drama daraus gemacht.

Nach dem Eingriff ließ er seinen Ministern Emoticons zukommen statt langer Mitteilungen: den Bizeps vor allem. Die Ärzte hätten ihm geraten, mehr Sport zu machen. Jogging im Park ist aber kompliziert geworden, seit die Terrormiliz Islamischer Staat Gentiloni in einer Drohschrift persönlich genannt hat.

Politisch garantiert Gentiloni Kontinuität. Im Kabinett sitzen bis auf wenige Ausnahmen dieselben Leute wie vor dem Wechsel an der Regierungsspitze. Gentiloni betont auch, er folge Renzis Reformagenda Punkt für Punkt. Das hört sich wie ein Treuebekenntnis an. Was wäre aber, wenn seine Gunst im Volk weiter steigt, wenn ihm plötzlich mehr davon zuflöge als Renzi, dem Parteichef und früheren Mentor? Könnte der Graf dann nicht doch versucht sein, den Platz vorne auf der Bühne behalten zu wollen?

© SZ vom 26.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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