Profil:Neil Young

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(Foto: Rich Fury/AP)

Der ewige Hippie und Weltverbesserer vermarktet seine Musik nun selbst.

Von Julian Dörr

"Look at mother nature on the run in the nineteen seventies", singt Neil Young in einem seiner berühmtesten Songs, "After the Gold Rush". Das war im Jahr 1970, Young hatte gerade sein drittes Album veröffentlicht, und diese Zeilen müssen damals wie eine düstere Prophezeiung geklungen haben. Der lange Sommer der Blumenkinder war eben erst zu Ende gegangen, die Welt schien ein Stück weit besser geworden zu sein: Warum also sollte Mutter Natur auf der Flucht sein? Young, einer der wichtigsten Vertreter der Gegenkultur dieser Jahre, aber auch einer ihrer schärfsten Kritiker, ahnte, was auf die frommen Träume der Hippies noch alles folgen sollte.

Bis heute ist der kanadische Sänger und Songwriter, der kürzlich seinen 73. Geburtstag feierte, ein Mahner geblieben. Weil er mit der minderen Soundqualität der Musik auf den Onlineplattformen unzufrieden war, gründete Neil Young kurzerhand einen eigenen Hifi-Streamingdienst und stellte sein komplettes Werk, inklusive allerlei Raritäten und digitaler Memorabilien, einfach selbst ins Netz. Diese sogenannten Neil Young Archives sind nach einem Jahr nun kostenpflichtig geworden. In Zeiten der Marktdominanz von Spotify, Apple und Co. mag man das sehen als Akt der Selbstermächtigung eines Musikers, der sich nicht länger von großen Unternehmen abhängig machen und gleichzeitig daran erinnern will, dass Qualität seinen Preis hat.

Neil Young ist ein sperriger Künstler, dessen bissige politische Kommentare im harten Kontrast zu seiner streichbutterzarten Stimme stehen. Seit vielen Jahren kämpft er für die Rechte Unterdrückter, Ausgebeuteter und Marginalisierter, er sieht sich als unermüdlicher Treter nach oben, ein Querulant vor dem Gericht der Mächtigen. Ein ganzes Album widmete er einer Anklage des umstrittenen Saatgutherstellers Monsanto; 2016 veröffentlichte er einen Protestsong gegen den Bau einer Ölpipeline durch das Land amerikanischer Ureinwohner.

Als Donald Trump kürzlich der kalifornischen Forstwirtschaft die Schuld an den verheerenden Waldbränden im Bundesstaat gab, schoss Neil Young, dessen Haus in Malibu niedergebrannt war, zurück: Nicht Misswirtschaft sei das Problem, sondern der Klimawandel. "Es ist wirklich Zeit für eine Abrechnung mit diesem ungeeigneten Anführer." Mit Trump verbindet ihn eine besonders innige Abneigung, seit der seinen Hit "Rockin' in the Free World" für Wahlkampfveranstaltungen kaperte.

Neil Young, in dritter Ehe verheiratet mit Schauspielerin Daryl Hannah, Vater dreier Kinder, darunter ein schwerstbehinderter Sohn, träumt trotz vieler privater Rückschläge den ewigen Hippie-Traum von einer besseren Welt. Er ist nicht nur Kritiker, er setzt seine eigenen Ideen auch um, zum Beispiel mit dem eigenen Streamingdienst. Zuvor hatte Young schon einen iPod-Konkurrenten mit verlustarmem Dateiformat mittels Crowdfunding finanziert sowie seinen prächtigen Lincoln-Continental-Wagen - Baujahr 1959 - als Pilotprojekt vom Benzinmonster zum sauberen, CO₂-neutralen Biomasse-Verwerter umrüsten lassen.

Und auch wenn seine aktuellen Alben, die er immer noch sehr regelmäßig Jahr für Jahr veröffentlicht, in jüngster Zeit auf musikalischer Ebene eher monoton das Altbekannte variieren, so sind sie doch ganz dicht dran am Kern der Kunst des Kanadiers: Er will das Alte ins Neue übersetzen. Die Archivierung der eigenen Vergangenheit - mithilfe neuerer und besserer Streamingverfahren. Der alte amerikanische Straßenkreuzer - mit klimafreundlichem Antrieb. Im Rückwärtsgang in die Zukunft, das ist die Bewegungsrichtung von Neil Young.

"After the Gold Rush", Neil Youngs prophetischer Song aus den Siebzigerjahren, endet übrigens damit, dass silberne Raumschiffe den Samen von Mutter Natur zu einem neuen Zuhause in den Sternen fliegen.

© SZ vom 01.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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