Profil:Matteo Renzi

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Matteo Renzi, forscher Premier in Rom, im Streit mit Europa. (Foto: Filippo Monteforte/AFP)

Der forsche italienische Premier gefällt sich gerade im Streit mit Europa.

Von Oliver Meiler

Matteo Renzi ist ein wunderbarer Geschichtenerzähler. Das hört sich zunächst wie ein Gespött an, zumal bei einem Ministerpräsidenten. Doch so empfände er es wohl nicht. Als der italienische Premier zu Beginn seiner Amtszeit gefragt wurde, woran es seinem Land am meisten fehle, sagte er: "Wir müssen das Storytelling Italiens ändern." Das Narrativ also, die Erzählung, damit sich auch die Sicht auf Italien ändere, jene von innen wie jene von außen. Er sah darin eine seiner Hauptaufgaben. Viel zu lange schon, fand Renzi, klebe an Italien der Ruf, stillzustehen, verkrustet in alten Traditionen, begraben unter seinen Schulden und dennoch sorglos und unreformierbar. Man belächelte das Land dafür. In Zeiten Berlusconis war es ein bitteres Lachen. Ernst nahm man Italien in den letzten Jahrzehnten nur selten.

Das ist jetzt anders. Renzi regiert seit bald zwei Jahren, und wenn man sich über seine Entscheidungen und Reformen im Einzelnen auch streiten kann: Der 41 Jahre alte Toskaner hat sich als feuriger Erzähler Italiens offenbart. Als oberster Imagepfleger. Wenn die Zahlen mal nicht so gut zur Erzählung passen, schminkt er sie mit Pathos nach. Er besingt die Schönheiten des Landes, der Kultur, Künste, Landschaft und Gastronomie. Kommt Kritik an seiner Person und an seiner Politik auf, an Story und Hauptakteur also, ist er eingeschnappt. Dann kontert er barsch mit Tweets und Posts auf Facebook, mit viel Selbstlob im Fernsehen, in den Zeitungen, am Radio. Er bespielt dann alle Kanäle. Denn Renzi lässt sich seine Story vom neuen, selbstbewussten Italien nicht kaputtreden.

Nun hat das zweite Kapitel der Geschichte begonnen, es spielt in Europa. "Italien", sagt sein Premier, "ist zurück, fitter und solider, verantwortungsbewusster und ambitionierter." Als Beleg dafür nennt er die Reform am Arbeitsmarkt, die Vereinfachung der Bürokratie, die Überholung der Verfassung. Alles wahr, alles in zwei Jahren - und im Sinne Europas. Die alten Minderwertigkeitskomplexe habe man deshalb abgelegt, sagt Renzi. Man lasse sich nicht mehr wie eine zweitklassige Provinz herumkommandieren von diesen Technokraten der Europäischen Kommission, die nur in Dezimalstellen nach der Null und dem Komma denken würden statt in großen Werten und Visionen. So redet er schon seit einigen Tagen. In Brüssel und in Berlin, den Adressaten der Tiraden, hat der brüske Tonfall dieses doch sonst so charmanten jungen Italieners viele überrascht.

Die Italiener hingegen waren gar nicht überrascht. So redet Renzi immer - direkt und undiplomatisch. Mit einem Hang zu Patriotismus und Populismus, wenn ihm der Appell an den Bauch des Volkes nützlich ist. In Italien nützt er meistens. 62 Prozent der Italiener, das zeigt eine neue Umfrage, halten das franke Wort ihres Regierungschefs für angemessen. Da sind auch viele Leute dabei, die ihn nicht wählen, vor allem Europakritiker. Um sie geht es gerade. Sie sollen sich in dieser Erzählung vom forschen Italien im Streit mit Europa wiederfinden. Ob die Story auch wahr ist oder nur taktisch inszeniert, scheint nicht so wichtig zu sein. Sie erzählt sich gut.

Dieser Tage war Matteo Renzi wieder im Studio von "Porta a Porta", einem politischen Programm auf dem staatlichen Fernsehsender Rai Uno, das man auch die dritte Parlamentskammer nennt. Er liebt diese Auftritte, sie gelingen ihm immer ganz natürlich.

Seine Sätze sitzen, als wären es Slogans, schnell und ohne Versprecher. Manchmal kippt sein Selbstvertrauen in Selbstgefälligkeit um, und er wirkt arrogant. Er lehnt sich dann zurück im Sessel, das Hemd spannt etwas stärker über dem Bauch als früher. Doch kurz darauf kann er wieder charmant säuseln und selbstironisch scherzen. Wie das gute Geschichtenerzähler nun mal können. Je nach Kapitel wechseln sie Genre und Tonfall. Je nach Publikum auch. Nächste Woche reist Renzi nach Berlin, zur Versöhnung mit der Kanzlerin.

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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