Profil:Leyla Hussein

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(Foto: X Verleih AG)

Unerschrockene Kämpferin gegen die Beschneidung von Frauen.

Von Jasmin Siebert

Mit einer riesigen Schere in der Hand steht Leyla Hussein vor einem übergroßen Modell einer leuchtend bunten Vulva. Als erstes schneidet sie die lila Klitoris weg, "Verstümmelung Typ 1", sagt sie. Dann trennt sie die inneren Schamlippen in Gelb-Rosa ab, Verstümmelung Typ 2. Und das Massaker ist noch nicht beendet. Um Hussein herum stehen junge, afrikanische Männer. Schockiert fassen sie sich ins Gesicht, bei manchen schiebt sich die Hand vor die Augen, so unerträglich ist das, was Hussein da tut. Dabei zerstört sie nur ein Kunstwerk aus Knetmasse. Millionenfach jedoch werden die Geschlechtsorgane echter Mädchen weltweit verstümmelt. Leyla Husseins Ziel ist es, diese Gewalt zu beenden.

Die Szene ist in der Dokumentation "#Female Pleasure" zu sehen, die gerade in den deutschen Kinos läuft. Leyla Hussein ist die stärkste der fünf Protagonistinnen, die von ihrem Kampf gegen Gewalt an Frauen berichten. Sie ist 38 Jahre alt, stammt aus Somalia und lebt in London; eine selbstbewusste, elegant und auffällig gekleidete Frau. FGM, das im englischsprachigen Raum gängige Akronym für "female genital mutilation", ist ihr Lebensthema. Als ausgebildete Psychotherapeutin arbeitet sie mit Betroffenen, als Aktivistin kämpft sie auf politischer Ebene dagegen. Sie spricht auf Podiumsveranstaltungen vor Hunderten Zuschauern genauso wie bei Workshops in afrikanischen Ländern und in Communitys, die FGM praktizieren. Ihre stärkste Waffe ist ihre eigene Geschichte. Die erzählt sie mit Humor und Tränen.

Als Siebenjährige war sie eines Morgens aufgewacht, ihre Tanten und Nachbarinnen kochten im Haus, es roch nach Party. Doch dann hielten sie ausgerechnet die Menschen fest, die sie am meisten liebte, um ihr bei vollem Bewusstsein die Genitalien zu verstümmeln. Das Gefühl, verraten worden zu sein, habe fast noch mehr wehgetan als die entsetzlichen körperlichen Schmerzen, sagt Hussein. Es sind die weiblichen Verwandten, die das grausame Ritual, dem sie einst selbst unterworfen waren, an den Töchtern praktizieren. Auch Hussein stellte den Brauch lange nicht infrage. Sie war stolze Somalierin, alle Frauen ihres Landes waren beschnitten, es gehörte einfach dazu. Bis sie schwanger wurde und sie bei Untersuchungen die Panik überkam und sie in Ohnmacht fiel. Eine Ärztin erklärte ihr, dass sie traumatisiert sei und ihr Körper Flashbacks erlebe. Das war der Moment, in dem sie beschloss: Meine Tochter wird niemals beschnitten werden.

2010 gründete Leyla Hussein die gemeinnützige Organisation Daughters of Eve, drei Jahre später das Projekt Dahlia. Ihre Vision: eine Welt, in der es weibliche Genitalverstümmelung nicht mehr gibt. In Großbritannien betreibt Dahlia eine rund um die Uhr besetzte Hotline für gefährdete Mädchen, bietet Einzel- und Gruppentherapien an, vermittelt Kontakte zu Kliniken, die Geschlechtsteile rekonstruieren. Vor ein paar Jahren sammelte Hussein mehr als 150 000 Unterschriften für eine Petition und brachte so das Thema FGM ins britische Parlament. Für ihre Arbeit hat sie viele Menschenrechtspreise erhalten. Sie schreibt Kolumnen in der Huffington Post, in der Cosmopolitan und im Guardian zu Gewalt gegen Frauen. Die mediale Präsenz hat ihren Preis. Hussein wird in der Öffentlichkeit beleidigt und angespuckt. Sie musste mehrmals umziehen und steht seit fünf Jahren unter Polizeischutz.

Doch Leyla Hussein lässt sich nicht einschüchtern. Dass ihre Aufklärungskampagnen wirken, zeigt "#Female Pleasure". Zu sehen sind dort immerhin auch Männer, die mit ihrer idealisierten Vorstellung einer Beschneidung brechen. Und in einer anderen Szene sitzt Hussein mit traditionell gekleideten Frauen eines Dorfs in Kenia im Kreis. Alle heben sie die Hand, als Hussein fragt, wer die Beschneidung erlebt habe. Und sie alle sagen, dass sie ihre eigenen Töchter davor bewahren möchten.

© SZ vom 27.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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