Profil:Kemal Kiliçdaroğlu

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Foto: Erhan Ortac/Getty Images (Foto: Erhan Ortac; Getty)

Der türkische Oppositionsführer steht vor der Entscheidung seines Lebens.

Von Mike Szymanski

Kemal Kılıçdaroğlu steckt in der 49-Prozent-Krise. In Worten: Der türkische Politiker ist stark als Oppositionsführer, aber womöglich zu schwach, um es mit Recep Tayyip Erdoğan aufnehmen zu können. Auf knapp 49 Prozent kam das Nein-Lager bei dem Referendum über die künftigen Befugnisse des türkischen Staatspräsidenten. Am 16. April hatte sich - den offiziellen Zahlen zufolge - also knapp die Hälfte der Wähler dagegen ausgesprochen, dass sich Erdoğan per Verfassungsreform zum Superpräsidenten macht, der fast alle Macht im Land bekommt. Die Türkei, ein reines Erdoğan-Land? So weit ist es heute noch nicht. Das zu beweisen war Kılıçdaroğlus Triumph in der Niederlage.

Nur wissen seine Anhänger jetzt nicht, wie sie damit und vor allem mit seiner Person umgehen sollen. Der 68-Jährige ist Vorsitzender der größten und - viel wichtiger - noch einigermaßen intakten Oppositionspartei, der säkularen CHP. Das ist die einst von Republikgründer Atatürk geschaffene Partei, die das Land einmal so beherrschte wie heute Erdoğans AKP. Bei den Parlamentswahlen 2015 kam die CHP aber nur auf etwa 25 Prozent der Stimmen, und unter Kılıçdaroğlu traute ihr auch niemand mehr einen großen Erfolg zu.

Dann aber kam die Kampagne gegen Erdoğans Präsidialsystem, die der frühere Verwaltungsbeamte zu einem Überraschungserfolg führte. Er tat es, indem er sich und seine CHP weitmöglichst im Wahlkampf zurücknahm und stattdessen jene Kräfte im Land unterstützte, die Unbehagen ob Erdoğans künftiger Machtfülle hatten - egal ob rechts oder links, fromm oder nicht. Auf den Plakaten der CHP war nur ein Mädchen mit Zöpfen zu sehen, um dessen Zukunft es gehe. Kılıçdaroğlus Ansatz war von Anfang an umstritten. Aber er setzte sich mit seiner zurückhaltenden, für türkische Politiker-Verhältnisse auffallend leisen Art durch.

Der wirkliche Ärger kam dann, als es in der Nacht des Referendums nicht ganz reichte, oder womöglich doch? Die Wahlbehörde hatte während der Abstimmung Stimmen für gültig erklärt, auf denen der offizielle Stempel fehlte. Als Kılıçdaroğlu in der Nacht auftrat, hätten vieler seiner Anhänger erwartet, dass er die Leute zum Demonstrieren auf die Straße schickt und selbst laut protestiert. Aber er zauderte, womöglich aus einem Verantwortungsgefühl heraus: Noch immer herrscht der Ausnahmezustand. Niemand konnte vorhersagen, wie der Staat auf Massenproteste reagieren würde. Jetzt halten ihn erst recht viele für einen Schwächling.

Erdoğan hat das Referendum gewonnen, formal ist er noch kein Superpräsident. Gewählt wird erst 2019 nach dem neuen System. Nun hat Deniz Baykal, ein früherer CHP-Chef und bis heute von großer politischer Verdrängungskraft, Kılıçdaroğlu vor die Wahl gestellt: Er möge sich zum Erdoğan-Herausforderer für die Wahl erklären oder den Weg für einen Nachfolger freimachen. Immerhin: Kılıçdaroğlu soll entscheiden.

© SZ vom 04.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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