Profil:Ildikó Enyedi

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Ildikó Enyedi, Regisseurin aus Ungarn und Gewinnerin der Berlinale. (Foto: Gregor Fischer/dpa)

Regisseurin aus Ungarn und Gewinnerin der Berlinale - auch für das Autorenkino.

Von Lothar Müller

Irgendjemand hätte ein Streichholz entzünden sollen, als Ildikó Enyedi auf der großen Bühne der Berlinale stand, um den Goldenen Bären für ihren Film "On Body and Soul" ("Körper und Seele") entgegenzunehmen. Denn für einen Augenblick schien es, als wollte sie stumm in der Schrecksekunde des Glücks verschwinden. Das Streichholz hätte den schönen Moment des europäischen Autorenkinos beleuchtet, der in dieser Preisverleihung steckte. Gerade hatte Aki Kaurismäki den Silbernen Bären für seinen neuen Film "The Other Side of Hope" halb abgewehrt, halb entgegengenommen, und dabei schwang die Erinnerung an das "Mädchen aus der Streichholzfabrik" mit, das 1990 im Forum der Berlinale umjubelt wurde.

Ildikó Eneydi wiederum erhielt im Jahr zuvor in Cannes mit ihrem Erstling "Mein zwanzigstes Jahrhundert" die Goldene Kamera für den besten Nachwuchsfilm. Auch bei ihr verkauften die Zwillingsschwestern, die sie im späten 19. Jahrhundert aufwachsen ließ, Schwefelhölzer. Wie Kaurismäki hatte auch sie Hans Christian Andersen zugewinkt und das Erbe der Kunstmärchen in ihren Film einfließen lassen. Und wie er hatte sie nicht nur Regie geführt, sondern auch das Drehbuch geschrieben.

Ildikó Enyedi, 1955 in Budapest geboren, gehört der Generation an, die im realsozialistischen Ungarn der Ära von János Kádár aufwuchs. Sie hat beides erlebt, die rasch aufflammende Repression, zu der auch der "Gulaschkommunismus" in der Lage war, und die ästhetische Opposition. Sie machte Ungarn zu einem Zentrum der kulturellen Avantgarde innerhalb des Ostblocks. An der Wirtschaftshochschule Karl Marx hatte sie ihr Studium begonnen, in der Theater- und Filmhochschule Budapest, an die sie bald wechselte, war sie eine von wenigen Frauen. Die entscheidenden Impulse aber verdankt sie dem "Studio Béla Balázs". Das Nachwuchs-Filmstudio war 1959 gegründet worden, als in Paris die Nouvelle Vague Furore machte. Béla Balázs, der Namensgeber, ein Literat und bedeutender Filmtheoretiker, gehörte zur großen Aufbruchsbewegung der ungarischen Moderne. Für Ildikó Enyedi wurde auch der Dirigent Miklós Erdély zum Mentor, eine Schlüsselfigur alles Experimentellen, quer durch die Künste. Enyedis Bildsprache wie ihre Personalunion von Regisseurin und Drehbuchautorin geht aus diesen beiden Quellen hervor, aus der ungarischen Moderne und aus ihren internationalen Verflechtungen. Die Kamera ist für sie ein Instrument der Menschenerforschung.

Nach ihrem letzten großen Film, "Simon der Magier" (1999), kam eine größere Pause, angefüllt mit Projektentwicklungen, Lehrtätigkeit an der Filmhochschule und der Regiearbeit für die TV-Serie "Terápia", die seit 2012 dem israelischen Original und dem amerikanischen Remake "In Treatment" die ungarische Variante der Psychoanalyse einer ganzen Gesellschaft an die Seite stellt. Nun ist Ildikó Enyedi triumphal ins Kino zurückgekehrt.

© SZ vom 20.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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