Profil:Helge Braun

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(Foto: dpa)

Kanzleramtschef und Merkels Mann fürs Medizinische.

Von Nico Fried

In seiner Doktorarbeit an der Universität Gießen hat sich Helge Braun 2007 damit befasst, was es für Patienten bedeuten kann, wenn sie während der Operation Herzrasen bekommen. Zu diesem Zweck wertete Braun 28 000 Anästhesie-Protokolle aus. Die medizinische Informatik ist sein Spezialgebiet, die in Gießen wiederum in einem Querschnittsbereich mit der Epidemiologie gelehrt wird. Dank dieser Ausbildung ist Helge Braun in seinem heutigen Job als Kanzleramtschef quasi prädestiniert, sich mit um eine Corona-App zu kümmern, die ihre Nutzer auf Kontakte mit Infizierten hinweisen soll.

Trotzdem ist die Entwicklung dieses technischen Hilfsmittels bisher kein Ruhmesblatt für die Pandemie-Bekämpfung der Regierung. Es dauert und dauert, auch wenn die Kanzlerin vor zehn Tagen versicherte, es werde "mit Hochdruck" daran gearbeitet. Nun hat man sich nach langer Diskussion und einer politischen Kehrtwende auf ein System dezentraler Speicherung verständigt. Aber fertig ist die Software deshalb noch lange nicht.

"Ich kann mich nicht um alles kümmern" - in der Jobbeschreibung eines Kanzleramtschefs ist dieser Satz nicht vorgesehen. Denn genau das ist die Aufgabe eines sogenannten Chefs BK: Jeder Regierungsvorgang, jeder Streit zwischen Ministerien, jedes Koalitionsgezänk landet früher oder später bei ihm. Als Chef BK verlässt man das Büro erst, wenn alle Mappen abgearbeitet sind - möglichst so, dass sich die Kanzlerin nicht damit befassen muss. Und wenn man morgens reinkommt, ist der Schreibtisch wieder voll. Dafür braucht es jemanden, dem Schlaf nicht allzu viel bedeutet und der auch unter Anspannung Ruhe und Freundlichkeit bewahrt. Beides wird Braun auffallend häufig nachgesagt. Wer eine Lücke in seinem Terminkalender ergattert, erlebt im Gespräch sogar spätabends noch einen Mann mit Humor, der sich wiederum in einem eigentümlichen Glucksen äußert.

Braun, 47, ist der vierte Kanzleramtschef von Angela Merkel nach Thomas de Maizière, Ronald Pofalla und Peter Altmaier. Er gilt als ausgeglichen, fair und bestens organisiert - Eigenschaften, über die seine Vorgänger in sehr unterschiedlicher Ausprägung verfügten. Und er gehört vom Wesen her zum Idealtypus eines Merkel-Mitarbeiters: loyal gegenüber der Chefin, zurückhaltend im öffentlichen Auftritt und absolut verschwiegen. Zuletzt hat er zwar mehrere Interviews gegeben, sogar im Fernsehen, aber nicht in erster Linie, um Fragen zu beantworten, sondern um Botschaften zu verbreiten. Es ist geübte Praxis Merkels, in Krisen ihren jeweiligen Chef BK zu einer Art zweitem Sprachrohr zu machen, dem der Ministerrang die Autorität verleiht, zu sagen, was auch die Kanzlerin sagen würde.

Aber Braun ist auch Politiker - und er wird ziemlich sicher bleiben, wenn Angela Merkel spätestens 2021 geht. Machtpolitische Naivität sollte man ihm nicht unterstellen. Schon einen Tag vor seinem 30. Geburtstag nahm er 2002 erstmals als Abgeordneter der CDU im Bundestag Platz. Bei den Wahlen 2005 flog er zwar wieder raus. Aber dass er es vier Jahre später noch einmal schaffte, als Direktkandidat der CDU in Gießen aufgestellt zu werden, zeugt von politischer Zähigkeit, und von einflussreichen Förderern, zu denen Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier gehört, ebenfalls Gießener. Nach der Rückkehr in den Bundestag wurde Braun 2009 parlamentarischer Staatssekretär im Bildungsministerium von Annette Schavan, 2013 Staatsminister und 2018 Chef im Kanzleramt.

Braun hatte 2014 frühzeitig auf den Ebola-Ausbruch in Westafrika hingewiesen, an dessen Bekämpfung sich später die Bundeswehr beteiligte. In der Corona-Krise schaltet er sich täglich mit den Chefs der 16 Staatskanzleien der Länder zusammen, um die Bekämpfung der Pandemie möglichst einheitlich zu gestalten. Diese Aufgabe garantiert ihm nach Lage der Dinge noch für Wochen, dass sein Job nicht langweilig wird.

© SZ vom 28.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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