Profil:Gilles Kepel

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Gilles Kepel: Prominenter Islamforscher auf der Suche nach den Wurzeln der Gewalt. (Foto: Gallimard)

Prominenter Islamforscher auf der Suche nach den Wurzeln der Gewalt.

Von Joseph Hanimann

Je dramatischer die Nachrichten, desto ruhiger Gilles Kepels Stimme. Nichts scheint diesen Spezialisten des Islam und der arabischen Welt aus der Ruhe zu bringen. Seit bald 30 Jahren wird der 1955 in Paris geborene Politik- und Sozialwissenschaftler bei großen Ereignissen zu Rat gezogen. Bekannt wurde er 1987 mit dem Buch "Les banlieues de l'Islam" über die Entstehung einer neuen Religion in den französischen Vorstädten durch die Eingewanderten in der zweiten Generation. Seine Reisen durch die arabische Welt machten ihn zu einem exzellenten Kenner des Dschihad.

In dem 2000 erschienenen "Schwarzbuch des Dschihad" vertrat Kepel die These, der politische Islam befinde sich auf dem Abstieg und seine Radikalisierung sei nur ein Zeichen von Schwäche. An dieser Auffassung hielt er auch nach dem Anschlag vom 11. September fest. Heute sieht er sich durch die Reaktion des IS auf den militärischen Terrainverlust bestätigt. Das sollte für den Autor aber, wie er im Buch "Die Spirale des Terrors. Der Weg vom 11. September bis in unsere Vorstädte" darlegte, nicht zu verminderter, sondern erhöhter Wachsamkeit führen.

Darin liegt einer seiner zentralen Kritikpunkte gegenüber der Politik. Sie habe immer noch nicht begriffen, erklärte er nach dem Blutbad in Nizza, dass der Dschihad der "dritten Generation" seit 2005 zu einer neuen Strategie übergegangen sei. Ziel sei es nicht mehr, den Staat anzugreifen. Ziel sei jetzt die Gesellschaft, indem durch spektakuläre Gewaltaktionen bei der einheimischen Bevölkerung ein Hass auf den Islam mit Gewaltreaktionen gegen Moscheen geschürt und dadurch bürgerkriegsartige Zustände herbeigeführt würden. Darauf reagierten die Behörden jedoch mit nutzlosen Sicherheitsmaßnahmen, anstatt die Gesellschaft insgesamt zu mobilisieren. Diese Entwicklung hat der Autor in seinem jüngsten Buch "Terreur dans l'Hexagone. Genèse du djihad français" (2015) untersucht.

Unter einer Mobilisierung der ganzen Gesellschaft versteht er die Bereitschaft, die Gewalt auf den Islam in seiner politischen Erscheinungsform zurückzuführen, im Kontext auch des Arabischen Frühlings zu sehen und in Europa gegen zweideutige Vertreter oder Gruppierungen des Islam schärfer durchzugreifen.

Über diesen Punkt geriet Kepel in diesem Frühjahr in eine scharfe Polemik mit einem anderen Islamspezialisten: dem in Florenz lehrenden Philosophen Olivier Roy. Der Dschihad sei eine "nihilistische Revolte" einer orientierungslos gewordenen Generation und habe mit dem Islam als Religion wenig zu tun, schrieb Roy nach den Pariser Attentaten vom 13. November. Es handle sich nicht um eine "Radikalisierung des Islam", sondern um eine "Islamisierung" in gewissen Kreisen der Jugend, die allemal gewaltbereit seien. Diese Auffassung bekämpft der perfekt Arabisch sprechende Kepel mit dem Vorwurf einer totalen Unkenntnis der arabisch-islamischen Welt.

© SZ vom 18.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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