Profil:Gerhard Ludwig Müller

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(Foto: Lena Klimkeit/dpa)

Kardinal auf radikalen Abwegen.

Von Matthias Drobinski

Überall Feinde, böswillige Menschen, die einem das Wort im Mund herumdrehen. Dabei hat man doch nur einen mutigen Aufruf unterzeichnet, der sagt, was Politik und Medien verschweigen: "Unter dem Vorwand der Covid-19-Epidemie" würden Freiheits- und Bürgerrechte außer Kraft gesetzt; "Kräfte" wollten in der Bevölkerung Panik erzeugen, um "dauerhaft Formen inakzeptabler Freiheitsbegrenzung" durchzusetzen - ein "beunruhigender Auftakt zur Schaffung einer Weltregierung". Das soll schlimm sein? Man wird doch wohl noch sagen dürfen: "Wir lassen nicht zu, dass Jahrhunderte christlicher Zivilisation unter dem Vorwand eines Virus ausgelöscht werden!" Für Kardinal Gerhard Ludwig Müller ist klar: "Interessierte kirchliche Kreise" hätten den Vorgang genutzt, "um daraus Empörungskapital zu schlagen", hat er der katholischen Zeitung Tagespost gesagt.

Die Empörung jedenfalls ist da: Der einst als Präfekt der Glaubenskongregation dritthöchste Mann in der katholischen Hierarchie hat einen verschwörungstheoretisch daherredenden Text unterschrieben. Verfasst hat ihn Ex-Nuntius Carlo Maria Viganò unter der Überschrift "Veritas liberabit vos" - "Die Wahrheit wird euch frei machen". Und wieder einmal unterscheiden sich das Selbstbild des Gerhard Ludwig Müller und der Eindruck vieler anderer dramatisch: Aus seiner Sicht hat er getan, was getan werden musste. Die anderen aber staunen, wie weit bei einem Menschen Intelligenz und Klugheit auseinanderklaffen können.

Gerhard Ludwig Müller, der 72 Jahre alte 1,96-Meter-Hüne aus Mainz-Finthen, war einmal ein weltweit anerkannter Theologe, belesen und Autor mehrerer Standardwerke, deren hervorstechendstes Merkmal war, dass sie weder nach rechts noch nach links von der kirchlichen Lehre abwichen. Im Urlaub half er in Peru in Gemeinden auf dem Land und in Limas Armenvierteln aus, schloss Freundschaft mit dem Befreiungstheologen Gustavo Gutierrez. Vertraute beschreiben Gespräche mit ihm als witzig und anregend.

Doch schon damals teilte der Münchner Professor Müller die Welt in Feinde und Freunde ein, empfand Widerspruch als Kränkung, andere Auffassungen als Affront. Als Papst Johannes Paul II. ihn 2002 zum Bischof von Regensburg ernannte, gab es schon bald im Bistum heftigste Konflikte: Müller maßregelte Pfarrer und Theologen, entmachtete den Diözesanrat in kleinteiligen und ins Persönliche gehenden Auseinandersetzungen. "Die Medien", die ihn auch wegen seines Umgangs mit einem Missbrauchstäter kritisierten, wurden zu Lieblingsfeinden, denen er schon mal Methoden wie den Nazis im Kirchenkampf unterstellte.

Dass Joseph Ratzinger, sein Förderer, ihn 2012 zum Präfekten der Glaubenskongregation in Rom machte, schien zunächst eine glückliche Lösung zu sein: In Regensburg konnte Ruhe einkehren und Gerhard Ludwig Müller wieder als Theologe arbeiten. Aber auch im Vatikan hatte Müller, 2014 von Papst Franziskus zum Kardinal erhoben, bald viele vor den Kopf gestoßen; vor allem aber nervte es den neuen Papst zunehmend, dass Müller dem Papst sagen wollte, was der zu denken habe. Als 2017 Müllers Amtszeit endete, erklärte Franziskus, dass er nicht weiter mit ihm zusammenarbeiten wolle - rüde, ohne Vorankündigung.

Müller hat das tief gekränkt; seitdem ist er letztlich nicht mehr als ein Aushilfspfarrer im Kardinalsrang. Schritt um Schritt ist er ins Lager der rechten Papstgegner gewechselt. Seine Wortwahl hat sich radikalisiert. Als im Januar in Frankfurt bei der ersten Versammlung des Synodalen Weges Bischöfe und Laien eine Geschäftsordnung verabschiedeten, verglich er dies mit dem "Ermächtigungsgesetz" der Nationalsozialisten von 1933. Dass nun ein besonnener Mann wie der künftige Augsburger Bischof Bertram Maier das Corona-Schreiben "zynisch" nennt, dürfte ihn nur bestärken: überall Feinde.

© SZ vom 13.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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