Profil:Fred Vargas

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(Foto: dpa)

Königin des französischen Krimis, die abgründige Fantasie mit Ratio verbindet.

Von Stefan Ulrich

Es ist wohl kein Nachteil für eine Schriftstellerin, eine Chemikerin zur Mutter und einen Surrealisten zum Vater zu haben. Zumal für eine Autorin von Kriminalromanen. In den Büchern von Fred Vargas wirken beide Erbteile weiter, in den Geschichten, in den Figuren. Und fragt man nach dem Geheimnis dieser "Königin des französischen Kriminalromans", wie sie der Figaro nennt, so liegt es vielleicht in dieser Melange aus naturwissenschaftlicher Ratio und abgründiger Fantasie, die auch ihren neuesten Krimi prägt, der unter dem Titel "Der Zorn der Einsiedlerin" am Montag in deutscher Übersetzung erscheint.

Wobei es einst danach aussah, als sollte Frédérique Audoin-Rouzeau, wie sie offiziell heißt, sich ganz der Seite der Mutter verschreiben. Am Pariser Montparnasse aufgewachsen, erlebte sie ihren Vater, einen Kulturjournalisten und ein Mitglied der Surrealisten, als dominant und in Kultur- und Geisteswissenschaften "monströs" gebildet. Also flüchtete sich Fred in die Naturwissenschaften. Sie studierte Archäologie und Geschichte, wurde Archäozoologin. Das heißt, sie klärte mithilfe von Knochen und anderen tierischen Überresten die Lebensbedingungen vergangener Epochen auf. Bis vor wenigen Jahren arbeitete die 1957 geborene Pariserin am nationalen französischen Forschungszentrum CNRS.

Doch schon früh merkte sie: Irgendetwas kam zu kurz bei diesem knochentrockenen Beruf. Die musische Seite. Sie begann, Akkordeon zu spielen. Doch ihre Fortschritte befriedigten sie nicht. Also nahm sie eines Abends ein Heft und begann, einen Roman zu entwerfen, mit dem sie sofort einen Preis gewann. Die folgenden Manuskripte wurden von den Verlagen als zu versponnen abgelehnt. 1991 erschien dann ihr erster Adamsberg-Krimi "Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord" - und von da an ging es bergauf.

Heute gehört Fred Vargas - ihr Pseudonym ist eine Hommage an die von Ava Gardner verkörperte Filmfigur Maria Vargas - zu den meistgelesenen Autorinnen Frankreichs. Ihre Werke sind in Dutzende Sprachen übersetzt, fürs Kino und Fernsehen verfilmt. Die Liste ihrer Preise ist endlos. Und ihre Fans warten so sehnsüchtig auf den neuesten bizarren Fall von Kommissar Adamsberg und seinem Team, wie Fußballfans auf die nächste WM.

Überhaupt Adamsberg. Er ist Dreh- und Angelpunkt ihrer meisten Bücher, und natürlich ermittelt er auch im Fall der Einsiedlerin, bei der es sich um eine Giftspinne handelt. Adamsberg sei das Gegenteil von ihr selbst, hat die eher öffentlichkeitsscheue, mit Sohn und Zwillingsschwester am Montparnasse lebende Fred Vargas gesagt. Der Pariser Kommissar ist alles andere als ein Logiker. Er ist verträumt, eigenbrötlerisch, irrational, vertraut dem Instinkt, nicht dem Verstand. Für Fakten sind seine Leute zuständig. Doch wenn deren Ratio nicht mehr weiterweiß, beginnt Adamsberg zu assoziieren. Ein Knöchelchen eines Hirschen, eine umgedrehte Zahl gewinnen Bedeutung - und dann lichtet sich der Nebel.

Und Fred Vargas will das Gegenteil ihres skurrilen Helden sein? Sie entwerfe ihre Geschichten wie im Rausch, bei Nacht, hat sie kürzlich dem Magazin Télérama erzählt. Nicht sie komme auf Ideen, die Ideen kämen zu ihr. Sie arbeite wie im Nebel. "Manchmal sehe ich nur einen Meter weit." Erst danach beginne die monatelange, systematische Arbeit, dem Buch Logik, Stil und Atmosphäre zu verleihen.

Ihr Kommissar muss sich mit abgründigen Geschichten aus der Vergangenheit beschäftigen, mit Vampiren, Werwölfen, Zombies, der Panik vor der Pest. Und bisweilen argwöhnt man, der Plot werde in einem Dämonium à la Hieronymus Bosch versinken. Es sind die kollektiven Ängste im Unterbewusstsein ihrer Leser, die Fred Vargas so ansprechen will. Doch am Ende schafft es Adamsberg stets, eine Lösung zu finden, die die Vernunft zufriedenstellt. Ihr Ziel sei die Katharsis, sagt Fred Vargas. Um den Lesern zu helfen, ihre Ängste zu überwinden.

© SZ vom 27.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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