Profil:Christian "Donald" Ganslmeier

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(Foto: privat)

Steilwandfahrer an der Todeswand des Oktoberfests.

Von Roland Schulz

Seine erste Todeswand sah Christian Ganslmeier mit sechs Jahren. Sein Großvater hatte ihn mitgenommen, auf die Bartlmädult, in Landshut. Der Opa wollte Kämpfe sehen, Boxen im Bierzelt, eine bewährte Attraktion auf Volksfesten. Der Enkel wollte die waghalsigen Männer sehen, die sich auf schweren Maschinen zur Schau stellten, angepriesen wie Gladiatoren. Die Show der Steilwandfahrer überwältigte die Sinne des Buben. Er sah, wie die Männer ihre Maschinen im Rund der Steilwand höher und höher schraubten. Er hörte den Klang der Motoren zu einem dunklen Singen schwellen. Er spürte die Schwingungen der Wand, als die Fahrer keine Armlänge von ihm entfernt vorbeidonnerten. Er konnte kaum hinschauen, aber auch nicht wegschauen. Ganslmeier schwört bis heute, jener Tag vor Jahren habe seine Karriere begründet.

Ganslmeier, 43 Jahre alt, steht mit seiner Steilwand auf dem Münchner Oktoberfest, auf einem abgetrennten Areal, das der Nostalgie gewidmet ist - die "Oide Wiesn". Das passt. Ganslmeiers "Motodrom" ist ein Schaugeschäft alter Art: Die Steilwand stammt aus dem Jahr 1928; ein fliegender Bau, den die Fahrer noch mit dem Flaschenzug hochziehen. Auch die Show wirkt wie aus der Zeit gefallen, Männer und Motoren und, als markiger Höhepunkt, der Ritt der Höllenreiter: drei Maschinen zur selben Zeit, mit sechzig Sachen, in sechs Meter Höhe. Aber das wahre Relikt des "Motodrom" ist Ganslmeier selbst. Er ist ein knochiger Mann, die Arme tätowiert, das Haar mit Pomade zurückgekämmt. Immer eine Zigarette im Mundwinkel. Während des Aufbaus führt er ständig eine Stecknadel mit sich, um Spreißel aus der Hornhaut seiner Hände puhlen zu können. Seine Sprache ist räudig, ein derbes Bairisch, das er spazieren führt wie einen Pfau. "Koan Schimmer von nix, aber d' Fotzn immer aufgrissn", sagt er über sich selbst in jungen Jahren: Keine Ahnung, aber ständig das Maul auf. Ahnung hat er inzwischen. Aber das Maul reißt er nach wie vor auf. Alte Taktik.

Ganslmeier war ein ungewolltes Kind. Er hat lange gebraucht, seine Herkunft zu offenbaren. Seine Mutter so jung. Sein Vater so alt. Seine Mutter flüchtete sich in die große Stadt, so wuchs er im Westen Münchens auf. Aus seiner ersten Schule warfen sie ihn raus. Aus der zweiten auch. Im Trotz machte er seinen Abschluss als Externer, schmiss seine erste Lehre, schmiss seine zweite Lehre. Ganslmeier gefiel sich als Halbstarker, er trug eine Tolle und den Kamm in der Hosentasche - allein: Es war nicht 1952, es war 1992. Ganslmeier war der verrückte Vogel aus der Vorstadt, der sich mit Marlon Brando verwechselte.

Mit 17 beschloss Ganslmeier abzuhauen. Ohne Führerschein fuhr er auf einem unter falschem Namen angemeldeten Motorrad bis nach London. Als er zurückkam, fassten ihn die Feldjäger. Als Ausweg verpflichtete er sich freiwillig, als Fallschirmjäger. Dauerte nicht lang, da schmissen sie ihn raus. Ganslmeier ging in England in die Lehre, an der Todeswand des Großmeisters Ken Fox, um zu lernen, was ein Steilwandfahrer können muss. Technik. Akrobatik. Tricks. Die entscheidende Eigenschaft besaß Ganslmeier bereits: Wann immer er zu Boden stürzte, stand er wieder auf.

Im Jahr 2012 kaufte er gemeinsam mit einem Freund die älteste noch reisende Steilwand im Land, das "Motodrom". Drei Jahre dauerte es, dann ließ die Stadt München seine Steilwandfahrer auf dem Oktoberfest zu, "Oide Wiesn", Abteilung Nostalgie. Ganslmeier war selig.

Steilwandfahrer betrachten die Wiesn als heiligen Boden, weil die Legenden ihres Gewerbes hier groß geworden sind. Die Steilwand-Kitty. Gustl Kokos. Die Gebrüder Mack. Siggi Sluppke. Und, seit 2015, Christian Ganslmeier, der wie seine Idole nur mit seinem Spitznamen gerufen zu werden wünscht - Donald, weil er einst, in der Vorstadt, immer mit einem Donald-Duck-Heft in der Hosentasche herumlief.

© SZ vom 24.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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