Profil:"Ich möchte nichts dem Zufall überlassen"

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(Foto: Linnea Rheborg/Getty)

Andrea Eskau, die Winter- und Sommersportlerin, erfolgreich im Karbonschlitten und im Handbike.

Von Ronny Blaschke

Sie hatten damals nicht mit einem Erfolg gerechnet bei der Rad-Weltmeisterschaft in Südafrika, also entschieden sie sich für den früheren Rückflug. Das deutsche Handbike-Team gewann dann doch überraschend Bronze, weil alle drei Fahrerinnen ihre beste Leistung zeigten. "Die Medaillenzeremonie war nicht geplant, wir hätten fast unseren Flug verpasst", sagt Andrea Eskau, und: "Über so ein Ergebnis freue ich mich mehr, als wenn ich mit einem Fehler Gold gewinne."

Andrea Eskau, 46, möchte an ihre körperlichen Grenzen gehen. Wenn sie ihr Ideal beschreibt, wirkt sie fast ein wenig aus der kommerzialisierten Sportmode gefallen. Sie drängt sich nicht nach vorn, die Pressesprecherin des Deutschen Behindertensportverbandes muss sie öfter zu Interviews überreden; Eskau nimmt ungern an Ehrungen oder Sponsorenevents teil. "Ich komme aus dem Osten", sagt sie. "Wir haben Sport aus Spaß getrieben, wir wollten uns vergleichen. Ich liebe die Bewegung und bin gern draußen."

Eskau, geboren im thüringischen Apolda, schafft es, dem Spaß und der Bewegung auch Erfolg beizumischen. Ob im Sommer oder im Winter, auf dem Handbike, im Biathlon oder als Langläuferin: Sie ist die Jahreszeiten-Wandlerin schlechthin, mit dreizehn paralympischen Medaillen, davon acht in Gold. Am Freitag gewann sie in Pyeongchang auch das Biathlon-Rennen im Skischlitten über 12,5 Kilometer, es war ihre vierte Medaille in Südkorea. Und zwei Wettbewerbe stehen noch aus.

Als Jugendliche betrieb Andrea Eskau Ausdauerdreikampf, was im Westen so viel bedeutete wie: Triathlon. Mit 27 Jahren hatte sie einen Fahrradsturz, sie schlug mit ihrer Wirbelsäule auf einem Bordstein auf. Seitdem ist sie querschnittsgelähmt. Ihr Bewegungsdrang half ihr danach, wieder eine Struktur in ihren Alltag zu bringen - bis heute. Viele Stunden hat sie in den vergangenen Wochen auf der Piste verbracht, im Kraftraum und in der Höhenkammer. Sie hat sich früh mit der Zeitumstellung beschäftigt, um in Südkorea Schlafprobleme zu vermeiden. Ihr Karbonschlitten ist so teuer wie ein Kleinwagen. Andrea Eskau will ihr Gerät stetig entwickeln. Schließlich braucht sie eine gute Verbindung zu ihrem Oberkörper. Dafür fragt sie bei Orthopädieexperten und Autobauern in Köln nach, die Erfahrungen in der Formel 1 gesammelt haben. "Ich möchte nichts dem Zufall überlassen."

Leistungssport als Selbstverwirklichung und Gesundheitsförderung - diese Haltung muss man sich auch erst einmal leisten können. Andrea Eskau kann Sport und Beruf aufeinander abstimmen. Im Bundesinstitut für Sportwissenschaft in Bonn kümmert sich die Diplom-Psychologin um Forschungen über den Behindertensport. Einige ihrer Kollegen haben den Sport aufgeben müssen, weil sie neben dem Studium oder Job nicht ausreichend Zeit fürs Training finden. Eskau fordert hier eine bessere Förderung: "Wenn Sportler nur durch Medaillen ihre Miete zahlen können, wie weit würden sie dann für den Erfolg gehen?"

Womit sie beim Thema Doping wäre. Andrea Eskau hat da eine differenzierte Meinung, auch zum staatlich gestützten Betrugssystem in Russland, das vor dem Behindertensport nicht haltmachte. Sie sagte vor den Spielen, dass nicht alle Russen betrügen würden und dass man das Individuum über den Pauschalverdacht stellen müsse. Internationale Medien schrieben: "Andrea Eskau verteidigt Teilnahme russischer Athleten".

Nach den Spielen von Pyeongchang richtet sie ihre Konzentration auf Tokio, den Gastgeber der Olympischen und Paralympischen Sommerspiele 2020. Sie sagt: "Ich bin nach Spielen noch nie in ein Motivationsloch gefallen." Sie kann nicht zeitgleich in ihren drei Sportarten in Höchstform sein. Fürs Handbike muss sie wieder mehr auf Ausdauer achten. Und auf Muskeln, die zuletzt im Winterschlaf waren.

© SZ vom 17.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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