Profil:Ana Carrasco

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(Foto: dpa)

Die Spanierin enteilt allen Machos - als erste Motorrad-Weltmeisterin.

Von Thomas Urban

Der Fall war in Spanien in den Regularien nicht vorgesehen: Bei Motorradmeisterschaften gab es bisher nur die Rubrik "piloto" (Fahrer). Der zwischen den Pyrenäen und der Straße von Gibraltar ungemein populäre, gefährliche Sport auf zwei Rädern war die letzte exklusive Männerdomäne in dem Land, aus dessen Sprache die Vokabel "macho" (männlich) internationale Karriere machte. Nun aber hat es die 21 Jahre alte "pilota" Ana Carrasco allen männlichen Konkurrenten gezeigt: Sie wurde beim Saisonfinale in Magny Cours Weltmeisterin in der Klasse SSP 300, die zwar nicht zur obersten Kategorie des Rennsports zählt, aber immerhin: Carrasco ist die allererste Frau, die in der Geschichte dieses Männersports einen Weltmeistertitel gewann.

Ana Carrasco war keineswegs die Favoritin. Gesiegt hat sie nicht wegen eines aggressiven Fahrstils, sondern dank kluger Taktik. Sie nutzte es aus, wenn sich ihre Gegner gegenseitig blockierten - und lieferte damit Anschauungsmaterial für geschlechtsspezifisches Verhalten in Stresssituationen. Ihr Weltmeistertitel kommt zu einem Zeitpunkt, an dem in Spanien heftig über Fähigkeiten und Karrieremöglichkeiten von Frauen, aber auch über männliche Gewalt diskutiert wird. Steht Ana Carrasco also für den Aufstieg der Frauen in der spanischen Gesellschaft?

Es gibt Pilotinnen bei den Fluglinien, Polizeioffizierinnen und sogar Toreras in Spanien, also Stierkämpferinnen. Der neue sozialistische Premier Pedro Sánchez hat vor vier Monaten mit der Vorstellung seines Kabinetts einen Akzent gesetzt: Erstmals in der Geschichte, so rühmte er sich selbst, nähmen Frauen in einer Regierung mehr Ministerposten ein als Männer (ob es Ministerinnenposten heißen müsste, darüber wird in Spanien kaum diskutiert, auf die romanischen Sprachen lassen sich Gender-Regeln schwer übertragen). Allerdings gibt es nur zwei Regionalpräsidentinnen im Lande, und beim Gerangel um den Vorsitz in den beiden größten Parteien, bei den Konservativen und den Sozialisten, haben sich in der entscheidenden Abstimmungsrunde Männer gegen Frauen durchgesetzt. Nicht anders sieht es in der Wirtschaft aus, an Debatten oder gar Gesetze über Frauenquoten in Aufsichtsräten ist nicht zu denken. Und die Toreras sind an einer Hand abzuzählen, sie finden nur als Exotinnen Aufmerksamkeit.

Immerhin hat eine Debatte über die ungleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit eingesetzt, in der nun auch Ana Carrasco eine Rolle spielt. Natürlich habe sie als Frau weniger verdient als ihre Konkurrenten, sagt sie. Doch steht zu erwarten, dass die Sponsorengelder bald fließen. Carrasco ist schlagfertig und witzig, hat vor Mikrofonen keine Angst und spricht passabel Englisch, was das Marketing im internationalen Rennsport erleichtert.

Der Wagemut und das Interesse am Herumbasteln an Motoren wurden ihr in die Wiege gelegt. Ihr Vater war Mechaniker in einem Motorradrennstall, er nahm die Tochter oft mit. Die saß mit drei Jahren schon auf einem Kinderrad mit Motor, das eigentlich ihrer älteren Schwester gehörte. Als Kind maß sie sich mit Jungen auf einer Rennbahn für Anfänger, mit 14 gewann sie erstmals einen Lauf der spanischen Meisterschaft, schon auf einem richtigen Motorrad der 125er-Klasse.

Die ganz harten Jungs beeilen sich nun zu erklären, ihr WM-Titel sei nicht so wichtig: SSP 300 ist eine Klasse für mittlere Serienmaschinen, weit entfernt von den PS-Geschossen der Spitzenprofis. Und da bleiben die Herren unter sich, bislang. Carrasco ist noch jung, sie hat sich hochgearbeitet von leichten Jugendbikes auf eine Kawasaki, die dreimal so schwer ist wie sie selbst. Nun sagt sie: "Ich habe noch viel vor." Doch weiß Ana Carrasco, dass ein Unfall ihre Karriere abrupt beenden kann. Sie studiert daher in ihrer Heimatstadt Murcía, in der heißen Südostecke des Landes, Rechtswissenschaften - auch dies ist in Spanien nach wie vor eine Männerdomäne.

© SZ vom 02.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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