Profil:Agnes Chow

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(Foto: Anushree Fadnavis/Reuters)

Die Aktivistin für Hongkong ist im Visier der Behörden.

Von Lea Deuber

Ein einzelner Beitrag auf Facebook, so erzählt es Agnes Chow, habe sie zu einer Aktivistin in Hongkongs Protestbewegung gemacht. Aufgewachsen in einer Familie, die selten über Politik diskutierte, sei sie 2012 dem Aufruf anderer Schüler im Netz gefolgt, die meisten kaum älter als die damals 15-Jährige selbst. Hongkongs Jugend rebellierte gegen eine geplante Änderung im Schulcurriculum. Ein neues Fach, "Moralische und nationale Erziehung", sollte die Schüler zu Festland-Patrioten machen. Gehirnwäsche, brüllte Chow mit Tausenden bei Protestmärschen. Später führte der Widerstand dazu, dass die Regierung ihre Pläne verwarf.

Chow, die sich immer als "durchschnittliches Schulmädchen" bezeichnete, übernahm damals die Rolle der Pressesprecherin, wurde zu einem Gesicht der Bewegung und lernte dabei Joshua Wong kennen. 2014 besetzten sie gemeinsam mit Tausenden die Innenstadt der Wirtschaftsmetropole, bis die Polizei die Sitzblockaden der Regenschirm-Revolution gewaltsam auflöste. Zwei Jahre später gründete Chow die prodemokratische Partei Demosisto mit, die Chinas Staatspresse seither als separatistisch beschimpft.

2018 wäre die Aktivistin, die nur einige Monate vor der Übergabe der früheren britischen Kolonie an China geboren ist, fast jüngstes Mitglied des Parlaments geworden. Für den Wahlkampf unterbrach die Studentin ihr Studium und gab sogar ihre britische Staatsbürgerschaft ab, eine Bedingung für die Wahlteilnahme. Doch die Behörden ließen sie trotzdem nicht zu. Als Grund wurde angeführt, dass sich ihre Partei für die Selbstbestimmung Hongkongs ausspricht, was Peking als einen Ruf nach Unabhängigkeit versteht. Es sei kein Verbot, das sich gegen sie richte, sagte Chow damals, es richte sich gegen eine ganze Generation in der Stadt.

Dieses Jahr sind die Parlamentswahlen abgesagt und auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Nun werden seit Inkrafttreten des Staatssicherheitsgesetzes Ende Juni die wichtigsten Köpfe der Bewegung festgenommen. Am Montagmorgen holten sie den Verleger und Aktivisten Jimmy Lai, durchsuchten die Redaktionsräume seiner Zeitung Apple Daily, am Abend kamen sie zu Chow. Die 23-Jährige blickte teilnahmslos, als die Polizisten sie mit den Armen auf dem Rücken aus ihrer Wohnung führten. Mindestens zehn Menschen wurden festgenommen.

Am Dienstagabend wurde Lai erstmal auf Kaution freigelassen, laut Medienberichten auch Chow.

Die genauen Vorwürfe sind bisher nicht bekannt, ihnen sollen aber geheime Absprachen mit Kräften im Ausland, Betrug und andere Verstöße vorgeworfen werden. Es ist nicht das erste Mal, dass Chow festgesetzt wurde, erst vor wenigen Monaten war sie wegen Anstiftung, Organisation und Teilnahme an einer unerlaubten Versammlung im Juni 2019 festgenommen worden.

Schon damals drohten ihr bis zu fünf Jahre Haft. Bevor die Protestbewegung letztes Jahr wieder an Fahrt aufnahm, studierte Chow an einer Hongkonger Universität Internationale Beziehungen. Sie spricht Kantonesisch, Englisch und Japanisch. Letzteres hat sie sich mithilfe von Fernsehshows selbst beigebracht. Auf Youtube betreibt sie einen beliebten Kanal, auf dem sie auf Kantonesisch und Japanisch auch für politische Unterstützung wirbt. In japanischen Talkshows ist die junge Frau gern gesehener Gast, in Japan nennt man sie auch "Göttin der Demokratie". Vor Kurzem reiste Chow nach Tokio, um bei der japanischen Regierung um Unterstützung zu werben. Bei einem Treffen mit der Presse bat sie, dem "gefährlichen" Sicherheitsgesetz für Hongkong in Japan mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Als Chow 2018 ihre Staatsbürgerschaft aufgab, um bei den Wahlen zu kandidieren, sagte sie, manche beschrieben den Schritt als Opfer, das sei es für sie nicht. Sie wolle für Hongkong kämpfen. Zudem sei die Aufgabe nichts im Vergleich mit dem Opfer, das Menschen in der Stadt erbrächten.

© SZ vom 12.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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