Präsidialsysteme:Herr über Krieg und Kabinette

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Welch große Befugnisse die Staatsoberhäupter Frankreichs und der Vereinigten Staaten haben.

Von Christian Wernicke

Amerikas Präsident ist der mächtigste Mann der Welt, zumindest wird das gerne behauptet. Nur, so schlicht und einfach stimmt das nicht. Barack Obama oder demnächst Donald Trump besitzen als Oberbefehlshaber der größten Armee und finanzkräftigsten Handelsnation der Erde zwar enormen Einfluss in der Welt. Aber daheim in Washington, wo ihm ständig der Kongress in die Parade fährt, wirkt der Mann im Weißen Haus häufig schrecklich hilflos. Das dürfte der Grund dafür sein, warum Recep Tayyip Erdoğan, der starke Mann der Türkei, beim Versuch, sich per neuer Verfassung ein Präsidentenamt mit aller Exekutivgewalt zu zimmern, mehr nach Frankreich als nach Amerika zu schauen scheint.

Erdoğan will Präsidentschafts- und Parlamentswahlen koppeln

Erdoğan geht es vor allem um die Konzentration aller innenpolitischen Macht - seine Pläne ähneln in mehreren Punkten dem französischen Modell der Fünften Republik. Frankreichs Präsident nämlich wird nicht nur (wie sein US-Kollege) direkt gewählt, also ohne Parlaments-Zustimmung vom Volk legitimiert. Der Herr im Élysée-Palast genießt zudem ein Privileg, das sonst nur Premierministern in parlamentarischen Systemen zusteht: Er darf die Nationalversammlung auflösen und Neuwahlen anordnen. Dies soll künftig auch dem türkischen Präsidenten möglich sein. Ein US-Präsident hingegen muss sich mit dem Kongress arrangieren. Die Macht, die widerspenstigen Abgeordneten per Neuwahl um ihr Amt zu bringen, fehlt ihm.

Sehr französisch mutet auch Erdoğans Plan an, Präsidentschafts- und Parlamentswahlen koppeln zu wollen. Seit 2002 ist es westlich des Rheins üblich, dass nach der Wahl eines Präsidenten (im Mai) schnell (im Juni) eine neue Nationalversammlung gewählt wird. De facto wird das Staatsoberhaupt in Paris somit zum eigentlichen Führer der parlamentarischen Mehrheit. Ein US-Präsident sieht sich oft in Senat und Repräsentantenhaus mit Mehrheiten der Oppositionspartei konfrontiert und muss mühsam Gesetzeskompromisse aushandeln. In Frankreich ist eine solche "Cohabitation" - das "Zusammenleben" eines Präsidenten und einer Parlamentsmehrheit aus verschiedenen Lagern - seit 2002 nicht mehr vorgekommen. In aller Regel ist ein französischer Premier nur der oberste Untergebene des Staatschefs und jederzeit austauschbar.

Beide, der amerikanische wie der französische Präsident, leiten als Chef der Exekutive die Sitzungen ihrer Kabinette. Beide sind als Oberbefehlshaber die Herren über Krieg und Frieden, beide lenken die Außen- und Sicherheitspolitik ihrer Nationen. Und beide können Spitzenbeamte und Generäle, Botschafter und sogar oberste Richter ernennen. Im Detail jedoch gibt es Unterschiede: Botschafter und hohe Richter zum Beispiel müssen sich zermürbenden Anhörungen im Senat stellen - und bedürfen der Bestätigung durch das US-Oberhaus.

Mit derartig lästigen "Checks and Balances" muss sich kein französischer Präsident herumschlagen. Ein Sonderartikel der Verfassung erlaubt es ihm und seiner Regierung sogar, Gesetze oder das Budget ohne eine Abstimmung durchs Parlament zu boxen. In Washington benutzt der Kongress derweil seine Herrschaft über das Geld, um selbst bei kleinsten Dingen mitzuregieren.

© SZ vom 10.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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