Präsidentschaftswahl in Chile:Duell der Jugendfreundinnen

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Die beiden Frauen waren seit ihrer Kindheit befreundet. Dann machte der Militärputsch in Chile 1973 ihre Väter zu politischen Feinden, einer wurde ermordet. Nun stehen sich Michelle Bachelet und Evelyn Matthei als Rivalinnen um die Präsidentschaft gegenüber.

Von Peter Burghardt, Buenos Aires

Manchmal überkreuzen sich Lebenslinien wieder, die längst auseinandergedriftet waren. Man hatte sich aus den Augen verloren, man steht plötzlich auf zwei grundverschiedenen Seiten. So sind die Jugendfreundinnen Michelle Bachelet und Evelyn Matthei auf einmal Gegnerinnen in Chiles Präsidentschaftswahl am 17. November.

Ihr Duell ereignet sich in einem langen, schmalen Land zwischen Anden und Pazifik. Ihre gemeinsame Geschichte reicht bis in die düsterste Vergangenheit dieser Nation, sie erlebt ihren Höhepunkt nun 40 Jahre nach dem blutigen Putsch des Diktators Augusto Pinochet gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Der Umsturz vom 11. September 1973 hatte die Freundinnen getrennt, und jetzt kommt die Erinnerung zurück.

Es ist wie eine Parabel auf diese geteilte Republik und ihre Wunden. Hier die Sozialistin Michelle Bachelet, 61, Tochter des Allende-treuen Generals Alberto Bachelet. Sie war Präsidentin von 2006 bis 2010 und tritt nun nach einer Amtszeitpause als Vertreterin der Mitte-links-Koalition Concertación erneut als Favoritin an. Auf der anderen Seite steht Evelyn Matthei, 59, Tochter des Pinochet-Generals Fernando Matthei, Bewerberin der rechten Partei UDI und der Allianz, die derzeit mit dem unbeliebten Staatschef Sebastián Piñera regiert.

Nachbarn im Wüstenghetto

Erstmals in der chilenischen Historie treten zwei Frauen gegeneinander an. Die eine stammt aus dem Lager Allendes, die andere aus dem Lager Pinochets. Ihre Väter standen sich einige Monate lang wie Todfeinde gegenüber, das kostete den einen das Leben und könnte den anderen auf seine alten Tage vor Gericht führen. Dabei waren sie einst Freunde gewesen.

Ende der Fünfzigerjahre wohnten die Offiziere Bachelet und Matthei mit ihren Familien im abgeschiedenen Luftwaffenstützpunkt Cerro Moreno bei Antofagasta in Chiles staubtrockenem Norden. Sie waren Nachbarn in diesem Wüstenghetto und verstanden sich prächtig. Die kleine Michelle und die kleine Evelyn gingen auf dieselbe Kasernenschule, spielten zusammen Puppen und fuhren Fahrrad. Für sie waren der Papa der jeweils anderen wie Onkel, Tio Beto und Tio Fernando. Die Mütter tauschten Klatsch aus, die Väter teilten außer ihrer Begeisterung für die Armee auch ihre Liebe für Sport und Literatur.

Später, in der Hauptstadt Santiago, setzte sich die Freundschaft fort, der temperamentvollere Alberto Bachelet pflanzte dem stilleren Matthei in dessen Garten sogar zwei Olivenbäume und einen Pflaumenbaum. Michelle Bachelet besuchte eine gewöhnliche und Evelyn Matthei die deutsche Schule. Die Eltern mochten und trafen sich auch noch, als die politischen Ansichten immer weniger zueinander passten. Alberto Bachelet wählte Salvador Allende, der es 1970 als erster Sozialist mit Wahlen an die Macht schaffte. Unter Allende brachte er es zur Nummer drei in der Hierarchie der Streitkräfte. Fernando Matthei blieb konservativ, während Allendes Ära verbrachte er die meiste Zeit an der Botschaft in London. Dann kam der 11. September 1973. Der Tag, der Chile spaltete.

Der Verschwörer Pinochet ließ den Präsidentenpalast La Moneda bombardieren, Allende beging in den Trümmern Selbstmord. Alberto Bachelet wurde verhaftet, gefoltert und verhört. "Sie haben mich innerlich gebrochen", schrieb er. "Ich begegnete Kameraden, die ich 20 Jahre lang kannte, Schüler von mir, die mich wie einen Verbrecher oder wie einen Hund behandelten."

Am meisten litt er in der Akademie des Luftkriegs, kurz AGA. Der Direktor war: Oberst Fernando Matthei, sein früherer Freund. An der Quälerei soll Matthei zwar nicht beteiligt gewesen sein und auch nicht direkt an Pinochets Putsch, er war da noch in Großbritannien gewesen. Doch Tatsache ist, dass Alberto Bachelet am 12. März 1974 an den Folgen von Folter an einem Herzinfarkt starb. Fernando Matthei hingegen wurde 1976 Gesundheitsminister Pinochets. Die sozialistische Medizinstudentin Michelle Bachelet und ihre Mutter flüchteten nach Australien und Ostberlin, 1979 kehrten sie nach Chile heim.

Fernando Matthei war inzwischen Luftwaffenchef, 1988 erkannte er dennoch als erstes Mitglied der Militärjunta die Niederlage der Diktatur im Referendum über Pinochets Verbleib an. Er bekannte sich 1990 zum demokratischen Neustart. Seine Tochter, die Ingenieurin Evelyn Matthei, trat den rechten Formationen RN und UDI bei, wurde Abgeordnete, Senatorin und zuletzt Arbeitsministerin von Präsident Piñera. Ihre Jugendfreundin Michelle Bachelet war zwischenzeitlich Ministerin für Gesundheit und für Verteidigung, 2006 wurde sie zur Präsidentin gewählt.

2013 kämpfen sie also um Chiles höchstes Amt, Michelle Bachelet gegen Evelyn Matthei. Das Schicksal und die Politik wollen es so. Bachelet hatte die vergangenen Jahre als UN-Beauftragte für Frauenrechte in New York verbracht. Matthei war Mitglied im Kabinett des Milliardärs Piñera, des ersten rechten chilenischen Staatsoberhauptes seit Pinochet. Sie war eigentlich nicht erste Wahl für die konservative Bewerbung, doch der Regierungskandidat Pablo Longueira gab kürzlich wegen Depressionen auf. Da präsentierten die Konservativen in letzter Not Evelyn Matthei, um den Machtwechsel zurück nach links zu verhindern.

Nach Umfragen allerdings liegt die populäre Bachelet deutlich in Führung. Sie hat sich diesmal mit den Kommunisten verbündet. Sie hofft auf Stimmen aus dem Lager der Schüler, Eltern, Studenten und Dozenten, die gegen horrende Gebühren im Bildungssystem protestieren und sie will sich ganz allgemein den Ärger über das neoliberale Modell politisch zu Nutze machen. Michelle Bachelet wird eher für den starken Staat stehen, Evelyn Matthei für die Unternehmer, die Chile seit Pinochet wie Gutsherren beherrschen.

Das Verfahren wegen des mutmaßlich gewaltsamen Todes von Alberto Bachelet gegen frühere Schergen des Regimes wurde wieder aufgenommen - die Bachelets schlossen sich den Klagen an, nicht aber denen gegen Fernando Matthei, 88. "Der General Matthei war immer unser Freund", sagte 2012 Alberto Bachelets Witwe. Als er das hörte, ließ Fernando Matthei der 86-jährigen Frau seines toten Freundes Blumen vor die Tür legen. Dann begann der Kampf der Töchter um Chiles Zukunft.

© SZ vom 14.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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