Polonium-Spuren in Hamburg:Familie möglicherweise verstrahlt

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Die Hamburger Polizei befürchtet, dass eine ganze Familie in der Hansestadt mit dem hochgiftigen Polonium verstrahlt worden sein könnte. Es bestehe der Verdacht, dass auch zwei kleine Kinder das Gift in den Körper aufgenommen haben, hieß es.

Annette Ramelsberger und Hans Leyendecker

Die Polizei geht davon aus, dass die Familie beim Essen durch gemeinsam benutztes Besteck, möglicherweise aber auch durch Knuddeln mit den Kindern in Kontakt mit dem giftigen Stoff kam.

Der russische Geschäftsmann Dimitrij Kowtun, der als Kontaktmann des vor zwei Wochen in London verstorbenen und mit Polonium verstrahlten Ex-Agenten Alexander Litwinenko gilt, hatte zweimal bei der Familie seiner ehemaligen Frau in Hamburg übernachtet und dort offenbar mit den Kindern gespielt.

Betroffen von der Verstrahlung sind die Ex-Frau Kowtuns sowie deren Lebensgefährte und die Kinder im Alter von ein und drei Jahren. Die Familie sei zur Beobachtung ins Krankenhaus gebracht worden, sagte der Leiter der Sonderkommission "Dritter Mann", Thomas Menzel, am Montag in Hamburg.

Die Polizei ist der Ansicht, dass Kowtun bereits kontaminiert war, als er Anfang November nach Deutschland kam und sein Kind und die Ex-Frau besuchte. Er liegt derzeit abgeschirmt in einer Strahlenklinik in Moskau.

Lugowoj befragt

In derselben Klinik wurde am Montag ein wichtiger Zeuge im Fall Litwinenko vernommen. Der Geschäftsmann Andrej Lugowoj sei in Anwesenheit von Beamten von Scotland Yard von Mitarbeiten der russischen Generalstaatsanwaltschaft drei Stunden lang befragt worden, meldete die Nachrichtenagentur Itar-Tass.

Zusammen mit Kowtun hatte Lugowoj am 1. November im Londoner Millennium Hotel Litwinenko getroffen. Dabei könnte es nach Annahme der britischen Ermittler zur tödlichen Vergiftung des Kreml-Kritikers Litwinenko mit Polonium gekommen sein. Lugowoj und Kowtun beteuern ihre Unschuld.

Inzwischen hat der Fall Litwinenko auch für Verstimmung auf politischer Ebene gesorgt. Kanzlerin Angela Merkel hatte bereits vor Bekanntwerden der möglichen Vergiftung der Hamburger Familie von einer "gewissen Beunruhigung" gesprochen, die sie angesichts der verschiedenen Todesfälle in und um Russland ergreife.

Sie forderte eine engere Zusammenarbeit zwischen russischen und britischen Behörden, um den Fall Litwinenko aufzuklären. "Ich hoffe, dass das Ganze aufgeklärt werden kann", sagte Merkel bei der Aufzeichnung der ARD-Sendung "Beckmann", die am Montagabend ausgestrahlt werden sollte. Das sei wichtig für das Ansehen Russlands.

Der russische Botschafter Wladimir Kotenew wies die Ermahnung Merkels zurück und betonte, die russische Staatsanwaltschaft habe bereits ein Verfahren eingeleitet. Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder hält den russischen Präsidenten Putin weiterhin für einen "lupenreinen Demokraten". Dies sagte er dem österreichischen Standard.

Nach wie vor ist in Geheimdienstkreisen unklar, wer hinter der Polonium-Vergiftung Litwinenkos und der Familie steckt. Zwar geht man davon aus, dass der Stoff aus staatlicher Quelle stammt. Aber Polonium wird in sechs Ländern kommerziell produziert und kann in bis zu 50 Forschungsreaktoren gezielt hergestellt werden.

"Die Sprache der Tat ist nicht zu erkennen", sagte ein hoher Sicherheitsverantwortlicher der Süddeutschen Zeitung. "Ich weiß nicht, was das soll." Ein anderer Beamter glaubt, dass die Täter sich sicher gefühlt haben müssen. "Dennoch hatten sie offenbar keine Ahnung, wie man mit dem Stoff umgeht."

Polonium ist mit bloßem Auge kaum sichtbar. Bereits die Menge eines Sandkorns aber ist tödlich. Nun sucht man nach der Substanz, mit der das Polonium transportiert wurde. Möglicherweise, so heißt es, könnte das Gift Kowtun untergeschoben worden sein, sonst hätte er nicht mit seinem Kind gespielt.

© SZ vom 12.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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