Politischer Aschermittwoch:Europa im Bierzelt

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Man kann das Treffen in Niederbayern für eine Beleidigung des Intellekts halten. Richtig angepackt aber kann der Aschermittwoch Menschen für Politik begeistern, sogar für die EU.

Von Annette Ramelsberger

Man kann den politischen Aschermittwoch gründlich missverstehen. Dann verkleidet man sich wie im Fasching, beschimpft die Einheimischen als Deppen und macht dümmliche Witze wie der Spitzenkandidat für die Europawahl der AfD: Er trug bei seinem Auftritt in Niederbayern einen langen schwarzen Ledermantel, begründete das damit, dass er doch diese "verrückten Bayern" besuche, und ließ dann Witze los, bei denen sich nur Männer auf die Schenkel klopfen, die sich nicht erinnern, wer vor 75 Jahren lange schwarze Ledermäntel trug. Zum Beispiel, dass man als Erstes Polen überfallen werde, wenn man im Europaparlament sitze. Allein schon wegen der Frauen. Haha. Und dass es in Brüssel vor allem "Nutten" gäbe bei Informationsabenden. Das ist es, was der AfD zu Europa einfällt - und zum Aschermittwoch.

Wer den Geist des Aschermittwochs richtig beschwört, der kann eine starke Kraft entfachen: die Macht Tausender Zuschauer, die Macht der Fernsehbilder, den Nachhall der Schlagzeilen. Vor allem die CSU weiß diesen Ort seit Jahrzehnten zu nutzen. In den vergangenen Jahren aber betrieb sie meist störrische Abgrenzung von der CDU und kraftlose Anbiederung an die AfD. Kraftlosigkeit aber verzeiht der politische Aschermittwoch nicht.

Wer gute Argumente hat, muss in Niederbayern nicht reden, als wäre er in Deppenhausen. Der muss seine Zuhörer nicht geistig unterfordern, als wären sie nur johlendes Stimmvieh. Wer den Geist des Aschermittwochs versteht, der schaut dem Volk aufs Maul, bietet aber auch etwas fürs Hirn. In diesem Jahr fand ausgerechnet Manfred Weber die richtigen Worte. Der CSU-Mann ist Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament und kandidiert für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Er will einer derjenigen werden, die der EU-Skeptiker Peter Gauweiler vor der jüngsten Europawahl noch so abkanzelte: "Da sitzen die nackten dummen Kaiser zusammen." Nimmt man Gauweiler ernst, ist Weber so ein Kaiser, allerdings kein dummer.

Weber betreibt keinen krachledernen Exorzismus. Weber geht es bei Europa um die Sache, man merkt, wie er für dieses Europa kämpft. Noch nie habe es eine bessere EU gegeben, ruft er den Leuten an den Biertischen zu. Das Wunder: Er bekommt lauten Beifall. Von einer Partei, deren Vorsitzender Markus Söder hier vor einem Jahr noch das Ende des "geordneten Multilateralismus" ausgerufen hatte, kurz: das Ende der Europäischen Gemeinschaft.

In diesem Jahr drehte sich die CSU so schnell um die eigene Achse, dass einem fast schwindlig wurde: Die EU ist nicht mehr am Ende, die EU ist jetzt die Zukunft. Und noch viel besser: Die EU ist bayerisch. Weber wurde minutenlang bejubelt, stärker noch als Söder. Für eine Rede, die in ihrem klaren Bekenntnis zu Europa keine Hintertür offenließ. Einen solchen Salto der CSU hat man auf dem Aschermittwoch selten erlebt. Einen Salto rückwärts in die Zukunft.

Man kann dieses nun 100 Jahre alte legendäre Treffen in Niederbayern für eine Beleidigung des Intellekts halten, für eine politische Schlammschlacht und für aus der Mode gekommene Folklore. Richtig angepackt aber kann der Aschermittwoch den Menschen die Politik näherbringen. Man darf dafür nur nicht die Gehirne vernebeln, Ressentiments anfachen und die Zuhörer für blöd verkaufen - so wie der Mann im schwarzen Mantel, ein paar Kilometer donauaufwärts.

© SZ vom 07.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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