Politische Nichtwähler:"Die einzige Macht des Ohnmächtigen"

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Der Ex-CDU-Politiker Werner Peters über den Einfluss von politisch motivierten Wahlverweigerern, eine Wahlpflicht und die Piratenpartei.

Lilith Volkert

Werner Peters war CDU-Kommunalpolitiker und beriet seine Partei jahrelang bei Wahlkämpfen. Wegen der Spendenaffäre trat er 1982 aus der CDU aus. Kurz vor der Bundestagswahl 1998 gründete er die "Partei der Nichtwähler". Der 68-Jährige hat - von einer Ausnahme abgesehen - seit dreißig Jahren nicht mehr gewählt.

sueddeutsche.de: Neben vielen Wahlmuffeln gibt es immer mehr Menschen, die politisch interessiert sind und trotzdem bewusst nicht zur Wahl gehen. Warum?

Werner Peters: Sie spüren, dass es nicht damit getan ist, die Person oder die Partei an der Spitze auszutauschen, sondern dass mit dem System insgesamt etwas nicht mehr stimmt. Nicht zu wählen ist eine Art des gewaltlosen Widerstands dagegen - die einzige Macht der Ohnmächtigen. Ein Signal.

sueddeutsche.de: Ein Signal, das bei Politikern aber nicht ankommt.

Peters: Leider. Bisher nehmen Politiker gezwungenermaßen zur Kenntnis, dass die Wahlbeteiligung sinkt. Sie vergießen einige Krokodilstränen und gehen dann zur Tagesordnung über. Es gibt für sie keine Konsequenzen.

sueddeutsche.de: Man könnte die Sitze im Bundestag, die den Stimmen der Nichtwählern entsprechen, einfach leer lassen. Dann würden die Abgeordneten bei jeder Sitzung daran erinnert.

Peters: Es würde vermutlich schon reichen, wenn man den Parteien die Wahlkampffinanzierung anteilig um die Summe kürzt, das auf die Stimmen der Nichtwähler entfällt. Bekommen sie auf einmal 30 Prozent weniger, denken sie vielleicht eher darüber nach, warum immer mehr Menschen auf ihr Wahlrecht verzichten.

sueddeutsche.de: Gäbe es eine Wahlpflicht, dann könnte man als Protest-Nichtwähler deutlicher in Erscheinung treten - indem man seinen Wahlzettel ungültig macht. Diejenigen, die jetzt aus Faulheit nicht zur Wahl gehen, würden sich wohl eher für eine Partei entscheiden.

Peters: Trotzdem bin ich absolut gegen eine Wahlpflicht. Als Wähler muss man das Gefühl haben, dass man mit seiner Stimme etwas entscheiden kann und dass die dringend notwendigen Reformen endlich angepackt werden. Sobald die Politik ehrlicher und effektiver wird, erledigt sich die Frage einer Wahlpflicht von selbst.

sueddeutsche.de: Sie sind 1998 mit der einige Monate vorher gegründeten "Partei der Nichtwähler" zur Bundestagswahl angetreten.

Peters: Das war eine Don-Quichotte-Aktion - allein der Name der Partei ist ja ein Paradox. Doch der Gedanke dahinter war durchaus ein ernster. Wir waren für eine Begrenzung der Mandate auf zwei Legislaturperioden und damit die Abschaffung des Berufspolitikers. Außerdem wollten wir den Einfluss der Parteien reduzieren und den Volksentscheid auf Bundesebene einführen, kurz gesagt: mehr direkte Demokratie.

sueddeutsche.de: Gerade mal 6827 Wähler haben für Sie gestimmt.

Peters: Ja, und bei der Bundestagswahl 2005 wurden wir - angeblich aus formalen Gründen - nicht mehr zugelassen. Aber unsere Ideen tauchen heute wieder auf, etwa bei der Piratenpartei. Wie wir damals greifen die Piraten ein Thema auf, das vielen auf der Seele brennt. Sie wollen verhindern, dass Deutschland in einen Überwachungsstaat abgleitet und sprechen damit Leute an, die sich bisher wenig für Politik interessierten.

sueddeutsche.de: Ist die Zeit reif für eine neue Nichtwählerbewegung?

Peters: Auf alle Fälle. Nichtwähler werden heute weniger als verfemte, undemokratische Gruppe gesehen als früher - weil viele eine bewusste politische Entscheidung getroffen haben, die angesichts der aktuellen Situation auch nachvollziehbar ist. Richtig Einfluss nehmen können sie allerdings nur, wenn sie sich organisieren. Wer etwas verändern will, muss in die politische Arena. Nur durch Nichtwählen funktioniert das nicht.

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