Politische Interessen:Sicherheit durch Sichtbarkeit

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Das Emirat Katar fürchtet seine Nachbarn und strebt deshalb nach Aufmerksamkeit.

Von Paul-Anton Krüger

Katar ist eine Halbinsel, gerade einmal 11 000 Quadratkilometer groß, kleiner als Schleswig-Holstein. Sie liegt im Golf, eingezwängt zwischen den regionalen Vormächten Saudi-Arabien, mit dem Katar seine einzige Landgrenze hat, und Iran, mit dem sich das Emirat das größte Gasfeld der Welt teilt. Schon seit Katar von Großbritannien 1971 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, haben die Herrscher in Doha mit einem gewissen Misstrauen auf die großen Nachbarn geschaut. Die Gasvorkommen, auf denen der sagenhafte Reichtum des Landes beruht, wecken Begehrlichkeiten. Lange bevor im Juni 2017 Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Bahrain das Land mit ihrer bis heute andauernden Blockade auf Linie bringen wollten, redeten Regierungsmitglieder und Sicherheitsberater in Doha viel von der Krim. Die ukrainische Halbinsel war im Jahr 2014 von Russland eingenommen und annektiert worden. Was der Ukraine geschehen sei, so die Botschaft, könne auch Katar widerfahren - nur dass es mit der Eigenstaatlichkeit des Emirats dann vorbei wäre. Spätestens beim Ausbruch der Krise vor zwei Jahren zeigte sich, dass die Sorge nicht aus der Luft gegriffen war.

Westliche Diplomaten sagen heute ganz offen, dass Saudi-Arabien damals einen Einmarsch vorbereitete, unterstützt von den Emiraten. Der Druck der USA hielt Riad und Abu Dhabi davon ab, genauer gesagt der damalige Außenminister Rex Tillerson und Verteidigungsminister Jim Mattis - das Weiße Haus schwieg lange.

Die katarische Führung wusste um die Verwundbarkeit des Landes, dessen Armee 2017 gerade 12 000 Mann zählte. Sie beugte mit einer Art Abschreckungsdoktrin vor, die auf den 2013 abgedankten Emir Hamad bin Khalifa al-Thani zurückgeht und die dessen Sohn Tamim fortsetzt: Sichtbarkeit ist ihre zentrale Säule. "Wenn uns niemand kennt, wird uns niemand helfen", sagte ein hochrangiger Sicherheitsberater in Doha schon vor einigen Jahren.

Also ergriff Katar jede Gelegenheit, aus der bedrohlichen Vergessenheit zu treten: Der Emir und sein Sohn holten Sportwettkämpfe nach Katar, von der Leichtathletik-Weltmeisterschaft über die Fußball-WM bis zu Formel-Eins-Rennen, sie etablierten den panarabischen Satellitensender Al Jazeera und machten Qatar Airways zu einer der erfolgreichsten Fluggesellschaften der Welt. Und betrieben über Jahre eine hyperaktive Außenpolitik. Geld spielte dabei keine Rolle; Katar hat eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt, der Staatsfonds hat 330 Milliarden investiert.

Zugleich suchten die Herrscher die Nähe der Mächtigen: Den USA dient der Luftwaffenstützpunkt al-Udeid bei Doha seit 2003 als Drehscheibe und Kommandozentrale für den gesamten Nahen Osten und Afghanistan. Jahrelang haben die Emirate versucht, Katar den Stützpunkt abspenstig zu machen. Doha antwortet auf seine Weise: Es erweitert den Flugplatz derzeit für 1,8 Milliarden Dollar und übernimmt alle Kosten, wie Tamim im Juli beim Staatsbankett mit US-Präsident Donald Trump verkündete - wie den Kauf amerikanischer Waffen für etliche Milliarden Dollar.

Die Blockade durch die Nachbarn führt Doha als wichtigen Grund dafür an, dass bei der Leichtathletik-WM die Ränge im Stadion oft leer blieben. Die Tatsache, dass Katar die Veranstaltung ungeachtet des Boykotts wie geplant ausgerichtet hat und sich zumindest der Verband mit der Organisation zufrieden zeigt, dürfte Doha aber als Bestätigung seiner Strategie sehen. Das Fernsehen übertrug weltweit - das macht Katar relevant und wichtig. Und darauf alleine kommt es an, nachdem eines der Bedrohungsszenarien teilweise eingetreten ist.

© SZ vom 07.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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