Politik und Pseudowissenschaft:Rückkehr der Rassisten

Miss World Teilnehmerinnen in London

Miss World-Teilnehmerinnen in London. (Archivbild)

(Foto: dpa/dpaweb)

Politiker sprechen wieder von Reproduktionsraten, vom IQ und kulturellem Suizid. Das ist pseudowissenschaftlich verschleierter Rassismus. Dabei ist die Idee von der Rasse gar nicht das Problem.

Von Markus C. Schulte von Drach

Der Vorwurf, Rassist zu sein, wiegt schwer. In Deutschland spricht deshalb kaum jemand von "Rassen" - abgesehen von Hundeliebhabern, Pferde-, Rinder- und Bienenzüchtern. Im angelsächsischen Sprachraum wird der Begriff "race" zwar auch bei Menschen verwendet. Als "racist" will aber niemand erscheinen - außer vielleicht Neonazis.

Und doch gewinnen rassistische Vorstellungen in der Politik wieder an Boden. Nicht nur in den USA, wie wir noch sehen werden. Oft verschleiern Politiker ihren Rassismus zwar, wenn aber Gruppen von Menschen aufgrund einer realen oder fiktiven gemeinsamen biologischen Abstammung von anderen auf- oder abgewertet werden, ist dies letztlich nichts anderes als eine Form von Rassismus.

Rassismus hat das Potenzial, den sozialen Frieden zu zerstören. Rassisten diskriminieren oder verfolgen Minderheiten und stellen Völkerrechte, Verfassungen und das Grundgesetz infrage. Aber was ist das eigentlich, Rassismus? Gibt es Menschenrassen? Und wo in welcher Form taucht Rassismus in der Politik wieder auf?

"Lewontins Irrtum"

Der Genetiker Richard Lewontin verglich Anfang der 70er Jahre das Erbgut von Schwarzen, Eurasiern, Asiaten und weiteren Gruppen und zeigte: "Ausgehend von zufällig gewählten genetischen Unterschieden sind sich menschliche Rassen und Populationen bemerkenswert ähnlich, der größte Teil der menschlichen Variation rührt von Unterschieden zwischen Individuen her."

Lewontin kam zu dem Schluss, die Kategorie Rasse hätte deshalb nahezu keine genetische Bedeutung und sollte abgeschafft werden. Seine Empfehlung war allerdings auch politisch motiviert: Er wollte die Kategorie loswerden, weil "die Einordnung nach Rassen auf die sozialen und menschlichen Beziehungen eine zerstörerische Wirkung" habe. Seitdem vertreten viele Menschen die Meinung, Rassen seien lediglich soziale Konstrukte.

Augenscheinliche Unterschiede

Unter Biologen ist allerdings schon lange die Rede von "Lewontins Irrtum". Lewontins Kritikern zufolge kommt es darauf an, nicht beliebige Gene zu vergleichen, sondern jene Genvarianten, die Gruppen von Menschen deutlich voneinander unterscheidbar machen: Nach der Ausbreitung des Homo sapiens von Afrika aus - wir sind demnach alle Afrikaner - sind als lokale Anpassungen zum Beispiel verschiedene Hautpigmentierungen entstanden. Europäer haben die Fähigkeit entwickelt, Milchzucker zu konsumieren, Japaner können dafür Meeresalgen verdauen. Es gibt Unterschiede in der Augenform. Und mancherorts ist die Resistenz gegenüber bestimmten Krankheitserregern besonders groß.

Alle diese Merkmale sind offenbar Anpassungen an regionale Umweltbedingungen - und zwar auf genetischer Ebene. Solche Unterschiede sind bei Menschengruppen zu erwarten, die durch große Entfernungen, durch Ozeane oder Wüsten getrennt sind. Das ist Evolution.

Einige medizinische Studien deuten überdies auf unterschiedlich große Krankheitsrisiken etwa bei Afroamerikanern und Weißen hin.

Es geht um Durchschnittswerte

Es lassen sich also Merkmale aufzeigen, die eine Zuteilung zu einer Rasse begründen können. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass die Genetik in Zukunft weitere Belege dafür findet, dass Gruppen von Menschen sich aufgrund von Genvariationen in ihren Bauplänen, Fähigkeiten und vielleicht sogar in Charaktereigenschaften deutlich unterscheiden. Allerdings nur im Durchschnitt, das muss betont werden.

Auf der anderen Seite dürfen wir nicht vergessen: Es geht NUR um Rassen: Erstens tragen alle Menschen die gleichen Gene, sie unterscheiden sich nur in deren Varianten (Allele). Die Genetik hat bislang also vor allem eines bewiesen: Es gibt tatsächlich genetisch gesehen eine einzige Menschheit. Es sind außerdem nicht bestimmte einzelne Allele, die nur in der einen oder in der anderen Gruppe vorkommen und diese unterscheidbar machen. Es ist die Häufigkeit solcher Allele in diesen Gruppen.

Zweitens entwickeln selbst eineiige Zwillinge, die über ein identisches Erbgut verfügen, unterschiedliche Persönlichkeiten.

Drittens können sich Angehörige unterschiedlicher Gruppen problemlos miteinander fortpflanzen. Es gibt fließende Übergänge zwischen den Gruppen. Und vermutlich lösen sie sich langfristig immer stärker auf. Barack Obamas Mutter etwa war eine Weiße mit europäischen Vorfahren. Nur weil die Gene seines Vaters einen erkennbaren Einfluss auf das Merkmal Hautfarbe hatten, gilt er als erster afroamerikanischer US-Präsident. Möglicherweise gibt es aber noch weitere Gene, die ihn eher zum Mitglied der einen als der anderen Gruppe machen könnten. Es ist kompliziert.

Ob es Rassen gibt oder nicht, ist auch nicht die zentrale Frage. Es kommt vielmehr darauf an, wie mit der Vorstellung von menschlichen Rassen umgegangen wird. Denn der Begriff kann neutral verwendet werden, ohne Wertung wie etwa in der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes der Vereinten Nationen, in der von "rassischen" Gruppen die Rede ist. Auch das Wort "Genozid" wird gemeinhin nicht hinterfragt, obwohl es natürlich eine Vorstellung von Völkern birgt, die über gemeinsame Gene (eigentlich Allele) definiert zu werden scheinen.

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