Polen:Wahlkampf ohne Wahltag

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Die Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten werben bereits vor Publikum für sich. Wann allerdings die Wähler das Wort haben, steht noch immer nicht fest.

Von Florian Hassel, Warschau

Es waren Auftritte für eine Präsidentschaftswahl, die offiziell noch gar nicht angesetzt ist. Nach Aufhebung der Maskenpflicht in Polen traten Staatspräsident Andrzej Duda im Wahlkampf auf, von der führenden Oppositionspartei Warschaus Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski und zudem weitere Kandidaten, teils vor Tausenden Menschen. Dabei gibt es weder einen Wahltermin noch ein gültiges Wahlgesetz.

Eigentlich wollte Polens faktischer Regierungschef Jarosław Kaczyński am 10. Mai per Briefwahl abstimmen lassen. Das sollte seinem Kandidaten Duda den Sieg sichern, bevor die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise Polen voll erfassen und die Popularität der Regierenden abnimmt. Doch ein Koalitionspartner verweigerte es, im kompletten Corona-Shutdown eine Wahl abzuhalten, die sich auch organisatorisch als unmöglich erwies. Am Abend des 10. Mai erklärte die Wahlkommission, die Wahl habe nicht stattgefunden. Die Parlamentspräsidentin habe zwei Wochen Zeit, um einen neuenTermin festzusetzen.

Am 12. Mai beschloss der Sejm, die untere Parlamentskammer, die kommende Wahl solle sowohl in Abstimmlokalen wie als Briefwahl stattfinden. Freilich muss der Senat, das von der Opposition kontrollierte Oberhaus, noch über dieses Gesetz abstimmen - dies sollte am Montagabend oder Dienstag geschehen.

Gesetz und Wahltermin sind hoch umstritten. Drei führende Verfassungsexperten nannten das Gesetz vom 12. Mai in Gutachten für den Senat in etlichen Punkten verfassungswidrig. Das Wahlbüro der OSZE kritisierte die Verabschiedung des Gesetzes ohne Beratung oder öffentliche Diskussion über eine "Angelegenheit von lebenswichtigem nationalem Interesse". Das OSZE-Büro empfahl stattdessen ein Vorgehen, das "die Prinzipien von Legalität und Rechtsstaatlichkeit respektiert". Die OSZE kritisierte auch diverse Einzelbestimmungen, etwa fragwürdige Vollmachten der - von der Regierungspartei PiS gestellten - Parlamentspräsidentin im Wahlkampf.

Um die Festlegung des Wahltermins zu verzögern, veröffentlichte die Regierung die Erklärung der Wahlkommission vom 10. Mai, mutmaßlich rechtswidrig, nicht umgehend, sondern erst am 1. Juni. Kaczyński erklärte den 28. Juni zum angeblich "einzigen möglichen Wahltermin". Dabei muss eine Präsidentschaftswahl nach Artikel 128 der Verfassung spätestens 75 Tage vor Ende der Amtszeit des amtierenden Präsidenten stattfinden. Damit wäre der 23. Mai letzter möglicher Termin gewesen, denn Dudas Amtszeit endet am 5. August. Verfassungsexperten empfahlen, sie ohne Wahl auslaufen zu lassen und erst dann neue Wahlen anzusetzen.

Doch die Opposition hat offenbar entschieden, bei einer Wahl noch im Juni mitzuwirken. Ihr Hauptkandidat, Warschaus charismatischer Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski, gilt als Dudas vhärtester Konkurrent. Umfragen zufolge wird kein Kandidat die für den sofortigen Sieg nötige Mehrheit von mehr als 50 Prozent erhalten. Dann würden voraussichtlich Duda und Trzaskowski zwei Wochen später in der Stichwahl antreten.

© SZ vom 02.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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