Polen:Wächter der Bürgerrechte

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Der Menschenrechtsaktivist Adam Bodnar, 43, bekleidete in mehreren Nichtregierungsorganisationen Führungspositionen. Seit 2015 ist er Bürgerrechtskommissar in Polen – und zieht ein niederschmetterndes Fazit. (Foto: Stanislaw Krzywy/imago)

Adam Bodnar ist bei Polens Regierung denkbar unbeliebt - weil sich das Parlament und der von der Opposition beherrschte Senat aber auf keinen Nachfolger einigen können, kontrolliert er die Exekutive vorerst weiter.

Von Florian Hassel, Warschau

Eigentlich sollte Adam Bodnar an diesem Mittwoch in aller Ruhe seinen Schreibtisch räumen: Schließlich endet an dem Tag die Amtszeit von Polens Bürgerrechtskommissar. Doch nun dürfte Bodnar noch Wochen oder Monate im Amt bleiben - und das, obwohl er bei Polens Regierung unbeliebt ist und die nationalpopulistische Regierungspartei PiS ihn lieber heute als morgen loswerden möchte.

Polens Bürgerrechtskommissar steht keinem nebensächlichen Amt vor, sondern einer Behörde im Verfassungsrang mit etwa 300 Mitarbeitern im ganzen Land. Seit dem Ende des Kommunismus haben mehrere Polen von Rang - die legendäre Bürgerrechtlerin Ewa Łętowska oder der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Andrzej Zoll zum Beispiel - dieses Amt ausgefüllt. Sein Inhaber soll laut Verfassung "alle Rechte und Freiheiten der Menschen und Staatsbürger" gegen die Regierung verteidigen. Behörden bis hin zum Amt des Ministerpräsidenten müssen die Eingaben des Kommissars beantworten. Polens oberster Bürgerrechtler kann jedes Gesetz anfechten und vor dem Verfassungsgericht oder europäischen Gerichten klagen, wenn er die Verfassung und internationale Verpflichtungen Polens durch die Regierenden verletzt sieht. Und das war in der fünfjährigen Amtszeit Bodnars oft der Fall.

Seit die PiS im Mai 2015 erst das Präsidentenamt und im Herbst 2015 auch die Regierung übernahm und im Parlament mit absoluter Mehrheit regiert, habe sie den Staatsaufbau ebenso verfassungswidrig wie dramatisch verändert, stellte Bodnar in seinem letzten Rechenschaftsbericht fest: Nach der Abschaffung der Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts und anderer Gerichte und Justizinstitutionen, wegen außer Kontrolle geratener Geheimdienste, systematischer Hasskampagnen gegen Minderheiten und politische Gegner und anderer Manöver könne Polen "nicht mehr als echte Verfassungsdemokratie definiert werden", schreibt er.

Polen sei heute ein autoritäres, populistisch geführtes System, in dem zwar noch gewählt werde, aber demokratische Institutionen und Mechanismen ausgehöhlt seien. Die Änderungen seien so dramatisch, dass heute "ein Fragezeichen in Bezug auf unsere Zukunft in der Europäischen Union steht", fasste Bodnar zusammen.

Seine bittere Amtsbilanz trug Bodnar am 13. August mehr als eine Stunde lang im Senat vor. Die obere Parlamentskammer wird seit Herbst 2019 von der Opposition kontrolliert - ein Grund, warum Bodnar über den 9. September hinaus zunächst im Amt bleibt. Zwar wählt die untere Parlamentskammer, der von der PiS und ihren Koalitionären mit absoluter Mehrheit kontrollierte Sejm, Bodnars Nachfolger - doch der Senat muss der Wahl zustimmen.

Zudem ist Polens Regierung seit Wochen mit internen Messerstechereien bei einer Regierungsumbildung beschäftigt, PiS-Chef Jarosław Kaczyński will angeblich die Zahl der Minister von 20 auf 13 verkleinern. Der neue Bürgerrechtskommissar dürfte wohl erst bestimmt werden, wenn andere Ämter verteilt sind.

Polnische Bürgerrechtler haben bereits eine Kandidatin für Bodnars Nachfolge vorgeschlagen, was das Gesetz ausdrücklich vorsieht. Die 38 Jahre alte Anwältin Zuzanna Rudzińska-Bluszcz vertrat Bodnar seit 2015 in etlichen Prozessen gegen Behörden und ist so angesehen, dass ihre Kandidatur bereits von 642 Bürgergruppen unterstützt wird. Für die PiS aber ist Rudzińska-Bluszcz ein rotes Tuch.

Der Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro, seit 2015 ein Ingenieur der Demontage der unabhängigen Justiz, schloss eine Wahl der Anwältin bereits aus - und brachte zwei seiner Stellvertreter ins Gespräch. Spekuliert wird aber auch, die PiS könne ihren Sejm-Abgeordneten Bartłomiej Wróblewski benennen. Der Verfassungsrechtler tritt etwa für weitere Verschärfungen des schon restriktiven Abtreibungsrechts ein. Derlei Kandidaten würden im oppositionskontrollierten Senat wohl durchfallen. Der Tageszeitung DGP zufolge erwägen einige im Kaczyński-Lager deshalb ein Sondergesetz, das die nötige Senats-Zustimmung faktisch abschaffen würde.

© SZ vom 09.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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