Polen:Von Schmiergeld und Schmierkampagnen

Lesezeit: 3 min

Am Wochenende demonstrierten viele Polen - unter ihnen auch amtierende Richter - bei einem "Marsch der Tausend" gegen die umstrittene Justizreform der PiS-geführten Regierung. (Foto: Karolina Misztal/imago)

Der neue Präsident des Senats will ein Gesetz verhindern, mit dem die Regierung die Justiz noch stärker kontrollieren könnte. Seither sieht er sich Rufmordversuchen ausgesetzt.

Von Florian Hassel, Warschau

Tadeusz Staszczyk war verwundert, als am Silvestertag unangekündigter Besuch kam. Der Gast stellte sich als Mitarbeiter eines Krankenhauses in Stettin vor - dort war der heute 90 Jahre alte Staszczyk 2012 operiert worden. Der Silvestergast zeigte eine Aktentasche: Staszczyk bekomme 5000 Złoty (umgerechnet 1182 Euro) bar auf die Hand, wenn er eine Erklärung unterschreibe: Dass der damalige Arzt, Chirurgieprofessor Tomasz Grodzki, ihn nur gegen ein Bestechungsgeld operiert habe. Staszczyk warf den ungebetenen Gast empört hinaus.

Der mysteriöse Besucher versuchte nicht als einziger, angebliches Belastungsmaterial gegen Grodzki zu sammeln. Tomasz Grodzki gehört nicht nur zu Polens größter Oppositionspartei: Er ist auch seit dem 12. November Marschall des Senats, so nennt man den Präsidenten der oberen Parlamentskammer und damit den dritten Mann im Staate. Und Grodzki ist eine zentrale Figur beim Vorgehen gegen ein hochumstrittenes Gesetz: Mit dem will Polens von der rechtspopulistischen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) geführte Regierung Richtern die Anwendung von EU-Recht ebenso unmöglich machen wie jedweden Protest gegen rechtswidrige Gesetze und Manöver.

Tomasz Grodzki nutzte alle seine Vollmachten, lud die Experten der Venedig-Kommission ein

Zuletzt bekräftigte der Gerichtshof der EU am 19. November 2019, dass jeder polnische Richter die Pflicht habe, nationale Gesetze zu missachten, die EU-Recht widersprechen. In diesen Fällen müsse übergeordnetes europäisches Recht angewendet werden. Dann urteilten noch unabhängige Richter des Obersten Gerichts am 5. Dezember, dass ein von der Regierung dominierter Landesjustizrat, der alle Richter aussucht, ebenso rechtswidrig sei wie eine neue Disziplinarkammer, die jeden Richter, Staatsanwalt, Anwalt oder Notar seines Amtes entheben kann. Warschau ignorierte beide Urteile und lässt KRS und Disziplinarkammer weiter arbeiten. Die EU-Kommission rief daraufhin am Dienstag den EuGH an, um Polen jede weitere Tätigkeit der Disziplinarkammer per einstweiliger Verfügung zu verbieten. Es dürfte nicht das letzte Kampffeld bleiben: Denn am 20. Dezember peitschte die Regierung ein weiteres Gesetz durch den Sejm, die untere Parlamentskammer. Es verbietet Richtern jegliche Beurteilung von Institutionen, die unter der PiS rechtswidrig gestaltet wurden, ebenso wie alle "Handlungen oder Unterlassungen, die das Funktionieren der Justiz erschweren oder unmöglich machen" sowie jede "Tätigkeit von politischem Charakter".

Seit Ende 2015 war auch der Senat PiS-kontrolliert und winkte jedes Gesetz durch, dann unterschrieb der ebenfalls von der PiS gestellte Präsident. Doch seit November 2019 hat die Opposition in der zweiten Kammer die Mehrheit. Der Senat hat 30 Tage, um das Gesetz vom 20. Dezember anzunehmen oder abzulehnen. Die entsprechende Sitzung beginnt an diesem Mittwoch.

Der neue Senatsmarschall nutzt zudem alle Vollmachten seines Amtes: Tomasz Grodzki hörte polnische und ausländische Experten an und unterrichte am 8. Januar in Brüssel die EU-Kommission über das Gesetz. Zudem bat er die Venedig-Kommission des Europarates, das weltweit führende Fachorgan zu Verfassungs- und Rechtsfragen, um ein Eilgutachten.

Gutachten 977/2020 dürfte den Gesetzentwurf als rechtswidrig beurteilen: So urteilten bereits Polens Richter- und Anwaltsverbände, der juristische Dienst des Sejm, das Oberste Gericht und das Oberste Verwaltungsgericht, der Präsident der europäischen Richtervereinigung der UN-Berichterstatter für richterliche Unabhängigkeit und die Menschenrechtskommissarin des Europarates.

Doch die Regierung will all dies ignorieren. Als die Fachleute der Venedig-Kommission zur offiziellen Visite nach Warschau kamen, lehnten Ministerpräsident und Außenminister jedes Treffen ab. Vize-Justizminister Michal Wójcik qualifizierte die Visite als angeblich unverbindlichen Privatbesuch ab. Sein Vorgesetzter, Justizminister-Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro, drohte Marschall Grodzki gar mit einem Staatstribunal - weil er kein Recht gehabt habe, die Venedig-Kommission nach Warschau einzuladen. Tatsächlich steht dieses Recht neben Regierungen und Staatsoberhäuptern auch Parlamenten zu.

Polens Staatsfernsehen und PiS-nahe Zeitungen verbreiten die unbelegten Anschuldigungen

Sollte der von Grodzki geführte Senat das Gesetz wie erwartet ablehnen, kann der von der PiS mit absoluter Mehrheit kontrollierte Sejm dies mit einfacher Mehrheit überstimmen und Präsident Andrzej Duda das Gesetz unterschreiben. Erst dann könnte auch die EU wieder aktiv werden und etwa beim EuGH eine weitere einstweilige Verfügung beantragen, "denn wir können nicht gegen einen Entwurf vorgehen, sondern nur gegen ein beschlossenes Gesetz", so eine Kommissionsquelle. Doch das Regierungslager will sich offenbar generell nicht damit abfinden, dass die Zeit der Expressgesetzgebung mit einem Grodzki-Senat vorbei ist.

In Stettin behaupteten mehrere anonyme angebliche Ex-Patienten Grodzkis, unter ihnen eine PiS-nahe Ratsfrau und eine ebenfalls parteinahe Biologieprofessorin, sie oder ihre leider bereits verstorbenen Angehörigen hätten Grodzki Geld für Operationen oder Gutachten zahlen müssen. Polens PiS-gesteuertes Staatsfernsehen wiederholte die Anschuldigungen, denen jeder Beleg fehlt, ebenso wie etliche parteinahe Zeitungen und Internetdienste.

Zwar erklärte das Präsidium der Stettiner Ärztekammer, gegen Grodzki habe es in seinen 36 Jahren als Chirurg keine einzige Beschwerde wegen Verletzung ärztlichen Ethos gegeben, geschweige denn wegen Korruption. Auch aus seiner Zeit als Stettiner Stadtrat und schließlich als Mitglied des polnischen Senats sei keine Beschwerde bekannt - doch dies wurde von den PiS-Medien verschwiegen. Stattdessen ermitteln nun die Staatsanwaltschaft und das der Regierung unterstellte Anti-Korruptions-Büro CBA offiziell wegen des Verdachts der Korruption in Grodzkis Krankenhaus.

© SZ vom 15.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: