Polen:Unpäpstlicher, als der Papst erlaubt

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Katholiken aus aller Welt feiern in Krakau den Papst. Doch viele Polen sind verstimmt. Ihnen ist der hohe Gast viel zu liberal.

Von Florian Hassel, Krakau

Der Weg aus Panama zum Papst führte für Patricia Famania über frittierte Backwaren. Seit Jahren stand für die 21 Jahre alte Studentin und Dutzende anderer junger Katholiken der Kirchengemeinde "Nuestra Señora del Carmen" aus Juan Diaz in Panama fest: "Wir wollen unbedingt zum Weltjugendtag nach Krakau." Der Wille ist freilich eine Sache, Geld eine andere in Juan Diaz, wo oft Gangs und Gewalt regieren und glücklich ist, wer überhaupt einen Job hat - und auch dann kaum mehr als 500 Dollar im Monat verdient. Der Weg aus Panama nach Krakau und zurück aber kostet 3000 Dollar pro Kopf.

"Vater Fernando, unser Priester, sagte, Gott werde schon dafür sorgen, dass wir das Geld zusammenbekommen." Zwei Jahre lang buken Famania und ihre Gemeindebrüder und -schwestern jeden Morgen Hojaldras, frittiertes Frühstücksgebäck, und verkauften sie für 20 Cent das Stück; sie veranstalten Basare und gingen mit der Sammelbüchse ins Einkaufszentrum.

Die Nonnen aus Panama sind begeistert: endlich einer, der sie versteht und inspiriert

Jetzt ist Patricia Famania in Krakau, zusammen mit 41 anderen Mitgliedern ihrer Kirchengemeinde. Hunderttausende junge Katholiken haben Polens ehemalige Königsstadt zur großen Feierzone gemacht. Polens Regierung hat allein 25 000 Polizisten nach Krakau geschickt, doch nicht nur am weitläufigen Marktplatz im Zentrum herrscht eine entspannte Festatmosphäre. Die jungen Panamaer haben nicht nur ihre Nationalflagge im Gepäck, sondern auch spanischsprachige Kirchenhits, um, so Famania, bei "der Party mit dem Papst" zu bestehen.

Ein Weltjugendtag ist ein großes Fest mit Hunderten Unterfesten: Gottesdiensten und Katechismen, Diskussionen und Sportturnieren, Nachtwachen und Seelsorgestunden, Konzerten und Diskotheken. Das Treffen mit Katholiken anderer Länder steht im Vordergrund, und die Treffen mit dem Papst. Vor allem mit diesem Papst. "Das Leben in dieser Welt ist schwierig - aber Franziskus inspiriert uns", sagt Patricia Famania. "Er spricht wie einer von uns, er kennt unsere Probleme."

Der Papst fährt Straßenbahn: Franziskus auf dem Weg zum Weltjugendtag in Krakau. (Foto: Stefano Rellandini/AP)

Stefano Colombi, 22 Jahre alter Sportstudent, ist mit seiner Freundin Ana aus dem norditalienischen Bergamo nach zwanzig Stunden Busfahrt in Krakau angekommen. "Franziskus ist offener als andere Päpste, er spricht uns in unserem Leben direkt an", sagt Colombi. "Einer unserer Priester hat vier Flüchtlinge bei sich aufgenommen, nachdem Franziskus dies zum Thema gemacht hatte. Die Kirche und wir Christen haben die Pflicht, Flüchtlingen in Not zu helfen."

Flüchtlinge und Terror, es sind Themen, die auch in Krakau ständig präsent sind. Thomas Paes ist mit 28 Katholiken der Gemeinde Sankt-Peter-und-Paul aus Straelen am Niederrhein nach Krakau gekommen. Straelen, gut 15 000 Einwohner stark, hat 450 Flüchtlinge aufgenommen; auch die Gemeinde versucht ihnen zu helfen. "Flüchtlinge brauchen eine Chance", sagt Paes, und an dieser Überzeugung haben bei dem jungen Katholiken auch die Terroranschläge von Nizza oder Ansbach nichts geändert. "Es bringt nichts, bei diesen Verbrechern auf die Nationalität zu schauen. Auch Deutsche bauen Mist", sagt Paes.

Während des Weltjugendtages wohnen die Straelener in Giebułtów, einem Dorf 40 Kilometer von Krakau entfernt. In dieser Woche kommen auf 1100 Dorfbewohner 150 junge Pilger, neben den Straelenern sind Dutzende weitere Pilger aus Deutschland und Irland bei polnischen Gastfamilien einquartiert. Die Aufnahme war "überwältigend gastfreundlich", sagt Paes. Beim Thema Flüchtlinge aber liegen Gastgeber und Gäste weit auseinander. "Meine Gastfamilie versteht unseren Umgang und unsere Einstellung überhaupt nicht", sagt Paes, und sechs seiner Freunde nicken. "Sie sagen, es sei ein Fehler, die Grenze aufzumachen - wir Deutsche hätten ja schon Silvester in Köln sehen können, wohin es führe, wenn man die Kontrolle aufgebe."

Polnische Medien berichten, vor allem seit in Warschau die rechtspopulistische Partei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis) unter Jarosław Kaczyński regiert, fast ausschließlich über Terror und Gefahr als angeblicher Folge von Einwanderern und Flüchtlingen aus Afrika und dem Nahen Osten. Dass etwa in Deutschland seit Jahrzehnten mehrere Millionen Muslime gewaltfrei leben, wissen viele Polen dagegen nicht. Die Pis-Regierung will selbst wenige Tausend Flüchtlinge, die es nach einem im Sommer 2015 auf EU-Ebene festgelegten Schlüssel bis Ende 2017 übernehmen sollte, nicht aufnehmen. Dabei weiß sie die meisten Polen hinter sich.

Wenn Tausende Katholiken zusammenkommen, wird nicht nur gebetet, dann ist auch "Papst Party". (Foto: Leszek Szymanski/dpa)

Wer allerdings nicht nur Pole, sondern auch Katholik ist, und das sind mehr als 90 Prozent der Polen, hat dadurch ein Problem - erst recht bei einem Weltjugendtag, der "Barmherzigkeit" zum Thema hat. Papst Franziskus ist am Mittwoch noch keine zwei Stunden in Krakau, als er im ehemaligen Palast der polnischen Könige auf dem Wawelberg der versammelten polnischen Regierung und den polnischen Bischöfen schon die Leviten liest. In Polen sei "die Bereitschaft zur Aufnahme derer notwendig, die vor Kriegen und Hunger fliehen; die Solidarität gegenüber denen, die ihrer Grundrechte beraubt sind". Doch Polens Ministerpräsidentin Beata Szydło gibt nach Franziskus' Rede an, sie verstehe sie nicht als Ermahnung an Polen.

"Der Papst ist der Boss. Aber in diesem Fall müssen wir ihm den Gehorsam verweigern."

Der 17 Jahre alte Gymnasiast Jan ist aus dem polnischen Siedlce mit anderen Mitgliedern einer katholischen Jugendgruppe nach Krakau gekommen. Jan nennt sich "traditionell", sein Glaube bedeutet für ihn vor allem, "ein katholischer Patriot" zu sein. "Die polnische Nation, die Kirche und unsere Unabhängigkeit - das war und ist für uns immer das Wichtigste".

Seinen Nachnamen möchte Jan nicht gedruckt sehen, denn was er von Papst Franziskus hält, denken zwar viele polnische Katholiken, sagen es aber selten öffentlich. "Ich mag diesen Papst nicht- er ist zu liberal", sagt Jan. Traditionelle, oft ultrakonservative Katholiken machen in Polen einen mehrere Millionen Menschen umfassenden Teil der Kirche aus. "Schon Papst Benedikt war vielen von uns zu liberal", sagt Jan. "Franziskus ist noch schlimmer." Schon eine Trennung von Kirche und Staat hält Jan für falsch, erst recht aber die Aufnahme von Flüchtlingen aus Afrika oder dem Nahen Osten. "Muslime bauen Moscheen und greifen jeden Tag irgendwo in Europa an, töten Christen oder vergewaltigen Frauen. Wenn wir, wie Franziskus will, viele muslimische Flüchtlinge aufnehmen, trennt uns das von unseren Wurzeln ab und führt geradewegs zur Apokalypse. Der Papst ist der Boss. Aber in diesem Fall müssen wir ihm den Gehorsam verweigern."

© SZ vom 29.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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