Polen:Unbequeme Ermittlungen

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Die Aufhebung der Immunität von Richter Igor Tuleya führt in Polen zu Protesten. (Foto: Omar Marques/Getty Images)

Polens Justizapparat entzieht einem regierungskritischen Richter die Immunität. Aus Sicht unabhängiger Richter besitzt die Disziplinarkammer, die Igor Tuleya abstrafte, jedoch keinerlei Legitimität.

Von Florian Hassel, Belgrad

Eigentlich sollte der Richter Igor Tuleya am Donnerstag am Warschauer Bezirksgericht in einem Kriminalfall urteilen. Doch die Verhandlung fiel aus: Seit Mittwochabend ist Tuleya, in Polen prominente Galionsfigur im Kampf für eine unabhängige Justiz, vom Dienst suspendiert. Sein Gehalt ist um ein Viertel gekürzt, seine Immunität aufgehoben.

Tuleyas Gericht entscheidet nicht nur in großen Kriminal- und Wirtschaftsverfahren, sondern auch in etlichen Fragen, die die Regierung oder Geheimdienste betreffen. Tuleya hatte die Staatsanwaltschaft angewiesen, nach einer von der PiS-Mehrheit offenbar rechtswidrig durchgeführten Parlamentssitzung gegen Abgeordnete der Partei zu ermitteln, bis hinauf zu Parteichef Kaczyński und Justizminister-Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro. Die Antwort: Die Staatsanwaltschaft beschuldigte den Richter der Überschreitung seiner Amtsvollmachten und des Verrats von Ermittlungsgeheimnissen. Am Mittwochabend hob die oberste Disziplinarkammer Tuleyas richterliche Immunität auf.

Der EuGH wies Polen bereits an, die Arbeit der Disziplinarkammer einzustellen

Tuleya erkennt die Entscheidung nicht an. "Dies ist kein Gericht, und dort sitzen keine echten Richter." Tatsächlich urteilten bereits noch unabhängige Richter am Obersten Gericht und der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), die von der PiS-Regierung geschaffene Disziplinarkammer sei kein unabhängiges Gericht, und es sei zweifelhaft, ob die dort Urteilenden überhaupt Richter seien. Der EuGH ordnete im April an, Polen müsse jede Tätigkeit der Disziplinarkammer unverzüglich einstellen. Warschau missachtet den Richterspruch.

Tuleya ist nach der Krakauer Richterin Beata Morawiec der zweite prominente Richter, dessen Immunität aufgehoben wird. Einem Bericht der Richtervereinigung Iustitia zufolge stehen rund 200 weitere Richter und Staatsanwälte unter Druck. Tuleya will einer Vorladung der Staatsanwaltschaft zum Verhör nicht folgen, da er damit die Entscheidung der illegalen Disziplinarkammer anerkennen würde.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg nahm bereits eine Klage Tuleyas an und befragte Anfang September die polnische Regierung. Am Mittwoch fragte Tuleya zudem beim EuGH bezüglich seines Falles an: Ob er aus Sicht Luxemburgs noch als Richter gelte, da er von einem Nicht-Gericht suspendiert worden sei? Und ob Polen EU-Recht gebrochen habe - oder nicht? Auf die Antworten dürfte nicht nur Richter Tuleya gespannt sein.

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