Polen:Tusk greift Regierung in Warschau hart an

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Der EU-Ratschef nennt die Abkehr vom Rechtsstaat in seiner Heimat beunruhigend. Dort wird spekuliert, dass er in die Politik Polens zurück will.

Von Florian Hassel, Warschau

Der EU-Ratspräsident und langjährige polnische Ministerpräsident Donald Tusk hat die von der nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) geführte Regierung in Warschau scharf kritisiert. In einem Tweet schrieb Tusk: "Ein harter Streit mit der Ukraine, Isolation in der Europäischen Union, die Abkehr von Rechtsstaat und Unabhängigkeit der Justiz, Angriffe auf Bürgergruppen und freie Medien: Ist dies die Strategie von Recht und Gerechtigkeit oder ein Plan des Kreml? Zu ähnlich, um ruhig zu schlafen."

Diese beispiellos harte Kritik des erst im März als EU-Ratspräsident wiedergewählten Tusk belebt Spekulationen, er wolle in die polnische Politik zurückkehren. Polens Regierungschefin Beata Szydło behauptete, Tusk habe als EU-Ratspräsident "nichts für Polen getan. Heute nutzt er sein Amt für einen Angriff auf die polnische Regierung, auf Polen." Der regierungskontrollierte Fernsehsender TVP Info sprach von "der nächsten Attacke Donald Tusks auf Polen". Die EU-Kommission führt derzeit gegen Polen ein Verfahren wegen Verletzung der Rechtsstaatlichkeit; das EU-Parlament forderte die Kommission vor wenigen Tagen auf, ein Verfahren zum Entzug des Stimmrechtes für Polen einzuleiten.

In Warschau wird spekuliert, dass Pis-Chef Kaczyński Ministerpräsident werden will

Warschauer Medien berichten unterdessen über eine anstehende Regierungsumbildung. Bei dieser wolle Pis-Chef Jarosław Kaczyński selbst Ministerpräsident werden, bisher steuert er die Politik aus dem Hintergrund. Kaczyński und Tusk sind erbitterte Gegner; Kaczyński verlor bereits eine Wahl gegen Tusk. Seit ihrer Regierungsübernahme im November 2015 versucht die Pis, Tusk zu diskreditieren mit Ermittlungen zu angeblichen Privatisierungsskandalen oder einer angeblichen Verschwörung von Tusk und Russlands Präsident Wladimir Putin: Die angebliche Verschwörung habe zu dem Flugzeugabsturz geführt, bei dem im April 2010 im russischen Smolensk Polens damaliger Präsident Lech Kaczyński starb, der Zwillingsbruder von Jarosław.

Polens nächste Parlamentswahl steht im Herbst 2019 an. Mit seinem Tweet stelle sich Donald Tusk "symbolisch an die Spitze der Opposition", urteilte die regierungsnahe Rzeczpospolita. Eine Tusk-geführte Opposition wäre für Jarosław Kaczyński im Unterschied zur bisherigen, farblosen und geteilten Opposition "ein Gegner, mit dem er rechnen muss".

Spekulationen betreffen nicht nur Tusks mögliche Rolle bei der kommenden Parlamentswahl: Im Frühjahr 2020 wird der polnische Präsident gewählt. Dieses Amt allein könnte ein starkes Gegengewicht zur Regierung bilden, etwa wenn der Amtsinhaber sich weigern sollte, rechtswidrige Gesetze der Regierung zu unterzeichnen. Der aktuelle, ebenfalls von der Pis gestellte Präsident Andrzej Duda hat dagegen mehrere Gesetze unterschrieben, die der Verfassung oder europäischen Rechtsnormen widersprechen.

© SZ vom 21.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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