Polen: Trauma Smolensk:Folgt Kaczynski auf Kaczynski?

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Noch trauert ganz Polen. Doch es gibt erste Hinweise, wer die Aufgaben der Toten von Smolensk übernimmt. Das Land darf nicht stillstehen.

C. Nohn

Der Schock und die Trauer um die Toten von Smolensk sind in ganz Polen allgegenwärtig. Doch die Aufgaben der Verstorbenen müssen zügig neu verteilt werden, um die politische und wirtschaftliche Stabilität des Landes zu sichern.

Die Frage, wer vorerst das höchste Amt im Staat übernehmen sollte, ist in der polnischen Verfassung eindeutig geklärt: Der sogenannte Sejmmarschall, der Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski, hat nach dem Tod von Staatspräsident Lech Kaczynski kommissarisch dessen Aufgaben übernommen.

Neuwahl im Juni

Interims-Chef Komorowski hat bereits angekündigt, schnellstmöglich einen Termin für die Neuwahl eines Präsidenten am Mittwoch bekanntzugeben. Ursprünglich sollten die Polen im kommenden Herbst das nächste Mal einen Präsidenten bestimmen.

Der 57-jährige Komorowski, der wie Ministerpräsident Donald Tusk der Partei Bürgerplattform angehört, ist von seiner Partei bereits als Kandidat für die Wahl nominiert wurden. Doch nicht nur die von den Kaczynski-Zwillingen gegründete Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat ihren Aspiranten für die Präsidentenwahl verloren. Auch Jerzy Szmajdzinski, Kandidat des Linksbündnisses SLD, ist bei dem Flugzeugabsturz in Russland ums Leben gekommen.

Spannend ist, wer statt Lech Kaczynski für die PiS bei der Wahl antreten soll. Umfragen kurz vor dem tragischen Unfall in Smolensk hatten ihm geringen Rückhalt in der Bevölkerung vorausgesagt. Doch wenn es der Partei gelänge, einen redegewandten Nachfolger zu finden, könnte sie durchaus von dem tragischen Ereignis profitieren. Sein Bruder Jaroslaw, der Vorsitzende der Partei, hat sich bislang nicht zu diesem Thema geäußert.

Kommentatoren der linksliberalen Zeitung Gazeta Wyborcza halten es für unwahrscheinlich, dass der tieferschütterte und im Volk wenig beliebte Jaroslaw selbst antreten wird - ihm fehle das Charisma. Autoren der konservativen und PiS-nahen Rzeczpospolita sehen das anders. Jaroslaw Kaczynski könnte effektvoll auftreten und sagen: "Ich führe das Werk meines Bruder fort."

Ex-Premier Cimoszewicz ein möglicher Kandidat?

Der polnische Ableger der Bild-Zeitung, Fakt, bringt hingegen einen anderen PiS-Abgeordneten ins Spiel: den 39-Jährigen Juristen und stellvertretenden Parteichef Zbigniew Ziobro, der bereits einmal Justizminister war und seit 2009 im Europaparlaments sitzt. Ziobro kommentierte die Spekulation nur mit den Worten: "Es ist noch nicht Zeit, darüber zu sprechen".

Auch für die SLD hat Fakt bereits "den einzigen fähigen Kandidaten, der erfolgreich um das Präsidentenamt kämpfen könnte", identifiziert: den früheren Ministerpräsidenten und späteren Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz. Der 59-Jährige ist ebenfalls Jurist und hatte bereits zahlreiche hohe politische Funktionen inne. Die SLD nominierte ihn bereits bei der Präsidentenwahl 2005 als Kandidaten, wegen eines Finanzskandals zog er seine Kandidatur jedoch zurück.

Angst vor einem politischen Vakuum hatte sich besonders im wirtschaftlichen Sektor ausgebreitet. Finanzexperten befürchteten, der Tod des polnischen Nationalbankchefs Slawomir Skrzypek könne Auswirkungen auf den Aktienmarkt haben - und sogar die polnische Währung, den Zloty, abstürzen lassen.

Schließlich hat der Chef der polnischen Nationalbank nicht nur repräsentative Aufgaben. Er verfügt über weitgehende Vollmachten und sitzt dem zehnköpfigen Rat für Finanzpolitik vor; die Stimme des Vorsitzenden überwiegt im Fall eines Patts. Das Gremium überwacht die Geldpolitik des polnischen Staats, legt zum Beispiel die Höhe des Leitzinssatzes und die Menge der Währungsreserven fest.

Lesen Sie auf Seite 2 mehr über die Befürchtungen der Börsenhändler und für welche Posten außerdem Nachfolger gesucht werden.

Doch die Befürchtungen der Börsenhändler haben sich nicht bewahrheitet - die Börse und der Zloty blieben stabil, es brach kein Chaos aus. "Die Nationalbank Polens arbeitet ohne Störung und erfüllt alle gesetzlichen Aufgaben als Nationalbank", hieß es in einer knappen Mitteilung des Instituts. Die Aufgaben des verstorbenen Skrzypek hat sein erster Stellvertreter, Piotr Wiesiolek, übernommen. Der 46-Jährige, der an der Katholischen Universität Lublin und an der Universität Warschau studiert hat, ist seit knapp 20 Jahren im Bankensektor tätig.

Wiesiolek rückt allerdings nicht automatisch dauerhaft an die Spitze des Instituts. Der polnische Staatspräsident, beziehungsweise in diesem Fall dessen Vertreter Komorowski, muss einen neuen Vorsitzenden vorschlagen - und den muss wiederum das polnische Parlament, der Sejm, bestätigen.

Auch Führungsspitze im Rat für Geldpolitik neu besetzt

Offen war zunächst, wer Skrzypek in seiner Funktion im Rat für Finanzpolitik ersetzen soll. Mittlerweile hat der Rat jedoch verkündet, dass Wiesiolek auch den Vorsitz dieses wichtigen Gremiums übernehmen werde. Wirtschaftsexperten begrüßten diese Entscheidung.

Für Wirtschaftsexperten ist bereits klar: Der künftige Notenbankchef muss überzeugend unabhängig von jeglicher politischer Einflussnahme sein, nur dann wird der Tod Skrzypeks keinen negativen Einfluss auf die Finanzmärkte haben.

Keinen automatischen Stellvertreter hatte der verunglückte Janusz Kochanowski in seiner Funktion als Ombudsmann für Bürgerrechte. Bis zur Wahl eines neuen Ombudsmanns ruht dieses Amt. Bis dahin müssen auch alle Bürgerrechtsfälle, die vor dem polnischen Verfassungsgericht anhängig sind, ausgesetzt werden - es sei denn, Kochanowski hat vor seinem Tod jemanden zur Vertretung ermächtigt.

Noch kein Nachfolger für das INstitut für NatiEinen neuen Vorsitzenden muss Polen auch für das Institut des Nationalen Gedenkens (Instytut Narodowej Pamieci, IPN) finden, eine Art polnischer Birthler-Behörde. Der bisherige Chef Janusz Kurtyka saß ebenfalls in der Unglücksmaschine. Doch auch, wenn nicht schnell ein Nachfolger gefunden wird, ist es bei dieser Position eher unwahrscheinlich, dass Kurtykas Tod die Arbeit des Institut dauerhaft lähmt. Denn die Aufgaben des IPN-Chefs sind eher repräsentativ, zudem trifft er vornehmlich personelle Entscheidungen.

Schließlich sind auch einige hochrangige militärische Führungspersönlichkeiten bei dem Unglück ums Leben gekommen, darunter auch Franciszek Gagor, der Oberbefehlshaber der polnischen Streitkräfte.

Die Armee hat aber bereits gemeldet, dass die jeweiligen Stellvertreter schon alle vakanten Posten eingenommen haben. Die tatsächlichen Nachfolger der Verstorbenen werden aber erst nach der Präsidentenwahl vom Verteidigungsminister vorgeschlagen und vom neuen Staatsoberhaupt ernannt.

Derweil hat der kommissarische Präsident Komorowski bereits einen neuen Chef des Büros für Nationale Sicherheit ernannt: Dem verunglückten Aleksander Szczygla folgt Stanislaw Koziej, ein General im Ruhestand. Er hatte schon einmal kurzzeitig das Amt des stellvertretenden Verteidigungsministers inne.

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