Polen:Teuer erkaufter Sieg

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Großzügige Wahlversprechen haben der polnischen Regierungspartei PiS einen fulminanten Erfolg beschert. Für die Demokratie im Land ist das keine gute Nachricht.

Von Florian Hassel

Es ist ein hartnäckiger Mythos, dass die Polen als Pioniere bei der Demontage des Kommunismus engagierter, freiheitsliebender und demokratischer seien als andere Völker. Dass sie deshalb Bauernfängern wie Jarosław Kaczyński nicht auf den Leim gingen. Stattdessen haben sie der populistisch-nationalistischen PiS bei der Parlamentswahl 44 Prozent der Stimmen geschenkt - es ist der höchste Wahlsieg einer Partei seit dem Fall des Kommunismus.

Die Polen waren nie so freiheitsliebend und engagiert, auch wenn das der Mythos um Lech Walęsa und seine bis zu zehn Millionen Mitglieder zählende Gewerkschaft Solidarność glauben machen wollen. Die echten Solidarność-Aktivisten im Untergrund zu Zeiten des Kriegsrechts in Polen machten ein paar Tausend Menschen aus. Schon Mitte der Achtzigerjahre stellte der Warschauer Historiker Franciszek Ryszka in einer Studie fest: Je ein Viertel der Polen seien Anhänger oder Gegner des Systems, der Rest sei schlicht gleichgültig oder pflege nur noch das Private.

Daran hat sich bis heute grundsätzlich nichts geändert. Als die PiS-Regierung nach knapp eineinhalb Jahren im Amt die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichtes kassiert und etliche weitere Rechtsbrüche begangen hatte, gaben im Jahr 2017 bei einer Ipsos-Umfrage 46 Prozent der befragten Polen an, ihnen sei Wohlstand wichtiger als Demokratie. Auch im Vergleich mit anderen früheren Staaten des Ostblocks haben sich viele Polen nicht mit Ruhm bekleckert.

Die Rumänen etwa demonstrierten seit Jahren im ganzen Land immer wieder gegen die Umtriebe ihrer postkommunistischen Skandalregierung. Im Mai straften sie diese bei der Europawahl ab und halbierten die Regierungspartei von 45 auf 22,5 Prozent der Stimmen. Vergleichbares nachhaltiges Engagement blieb in Polen aus. Selbst die Wahlbeteiligung ist seit jeher niedrig. Bei den ersten freien Wahlen im Jahr 1989 gaben nur gut 62 Prozent ihre Stimme ab - ein Wert, der erst an diesem Sonntag fast wieder erreicht wurde. Doch auch jetzt blieben bei der wichtigsten Abstimmung seit drei Jahrzehnten knapp 40 Prozent der Polen passiv und gleichgültig.

Zu allem Überfluss aber: Viele Polen haben sich sehenden Auges kaufen lassen. Gewiss, die gespaltene Opposition zeigte erhebliche Schwächen. Und Millionen Polen sind beispielloser Propaganda durch das Staatsfernsehen TVP ausgesetzt, das seit 2016 mit Manipulationen, Auslassungen und Lügen vor allem auf dem Land die Meinung macht. Doch das entscheidende Moment für den PiS-Erfolg ist schlicht: Stimmenkauf. Die Partei setzt erfolgreich auf jene Polen, die hier und heute besser leben wollen - gleichgültig, wer wann später die Zeche zahlt.

Die PiS ist nicht nur von fast all jenen wieder gewählt worden, die schon 2015 für sie stimmten. Umfrageanalysen zufolge kamen mehrere Millionen Neuwähler erst in den vergangenen Monaten hinzu. Gelockt wurden sie von PiS-Chef Jarosław Kaczyński, der das Kindergeld erheblich ausweitete, junge Polen bis 26 von der Einkommensteuer befreite, Sonderzahlungen für alle Schulkinder einführte. Sie kamen auch, weil ihnen Kaczyński für die Zeit nach der Wahl weitere Wohltaten versprach, von höheren Renten bis zu einer Verdoppelung des Mindestlohns. Es waren diese Wohltaten, welche die PiS von knapp 38 Prozent vor vier Jahren auf nun 44 Prozent emporhoben. Seine teuren Versprechen wird Kaczyński zum großen Teil umsetzen, schließlich sollen die ihn auch nach 2023 an der Macht halten.

Viele Polen gaben einer Partei ihre Stimme, die ihre Abwahl redlich verdient gehabt hätte. Weil sie den Rechtsstaat nahezu vollständig beseitigt hat und die Reihe der atemberaubenden Skandale immer länger wird. Ernüchternd ist, dass viele PiS-Wähler sich keinerlei Illusionen machen. 40 Prozent von ihnen haben diese Regierung wiedergewählt, obwohl sie damit rechnen, dass sie den Rechtsstaat und die Demokratie weiter abbaut.

Dass er dies vorhat, daraus hat Kaczyński, der eigentliche Regierungschef Polens, vor der Wahl keinen Hehl gemacht. Die letzten Bastionen einer unabhängigen Justiz, vor allem das Oberste Gericht, dürften schon in den nächsten Monaten geschleift werden. Dabei setzt Kaczyński offenbar darauf, dass die neue EU-Kommission lieber bellt als beißt und die Sanktion, die Polen wirklich treffen würde - Streichen oder Einfrieren der Fördermilliarden - auf dem Papier bleibt.

Auch Polens Bürgerrechtskommissar und die wenigen noch unabhängigen Medien werden verstärkt unter Druck geraten. Der demokratischen Opposition im Land bleibt nur eine kleine Hoffnung auf die im Frühjahr 2020 folgende Präsidentenwahl. Ein Staatsoberhaupt aus den Reihen der Opposition könnte illegale Gesetze mit seinem Veto verhindern, anders als der jetzige PiS-Mann Andrzej Duda, der noch die übelsten Rechtsbrüche mitgetragen hat.

© SZ vom 15.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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