Polen:Petrus Polen

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Selbstbewusst mischt der Chef der liberalen Oppositionspartei Die Moderne die Politik auf. Der 43-Jährige träumt bereits vom Amt des Regierungschefs.

Von Florian Hassel, Warschau

Ryszard Petru hatte sich seine ersten Wochen des Jahres 2016 dynamischer vorgestellt. Doch nach einem Skiunfall in den Alpen musste Petru wochenlang auf Krücken gehen. Die Ambitionen des 43-jährigen Politikers sind indes ungebrochen. Petru ist zum neuen Superstar der polnischen Politik geworden - nun will er nächster Regierungschef werden.

Noch vor einem Jahr kannten nur wenige Polen den Mann mit der schmalen Figur und dem Bürstenhaarschnitt. Als junger Ökonom war Petru von 1997 bis 2000 Mitarbeiter des damaligen Finanzministers Leszek Balcerowicz, einem Architekten polnischer Wirtschaftsreformen; später arbeitete er als Dozent, beim Warschauer Büro der Weltbank und als Unternehmensberater. Eine Bewerbung als Parlamentskandidat scheiterte einst kläglich. Das änderte sich, nachdem Petru 2015 die Partei Die Moderne (Nowoczesna) gründete. Mit einem liberalen, europäischen Programm und Petrus rhetorischem Talent schaffte es die Partei im Oktober mit 7,6 Prozent der Stimmen gleich ins Parlament.

Verlierer der Wahl war die Regierungspartei Bürgerplattform (PO), die nach dem Machtverlust wie gelähmt wirkte. Währenddessen griffen Petru und seine Kollegen im Sejm, dem polnischen Parlament, die politisch und juristisch zweifelhaften Manöver an, mit denen die neue Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) unter Polens dominierendem Politiker Jarosław Kaczyński ihre Macht ausbaute. Auch außerhalb des Plenarsaals zeigte Petru Qualitäten als Redner und Volkstribun - etwa bei Protesten des "Komitees zur Verteidigung der Demokratie".

"Ich wende mich an Sie als den Führer der parlamentarischen Opposition", verkündete Petru staatsmännisch in einer eigens per Youtube verbreiteten Neujahrsansprache. Das war kühn, weil Neujahrsreden dem Präsidenten vorbehalten sind. Aber auch deshalb, weil er einen Führungsanspruch erhebt, obwohl es nur 29 Moderne-Abgeordnete gibt. "In der Politik entscheidet manchmal nicht die Zahl der Angeordneten, sondern was man sagt, wie man es sagt und welche Alternativen man vorschlägt", sagt Petru der Süddeutschen Zeitung. Mit überzeugenden Auftritten beförderte Petru seine Partei in der Publikumsgunst weiter nach oben. In Umfragen kommt die Moderne meist auf 25 Prozent, hinter der regierenden Pis, aber weit vor der PO. "Ein ausgezeichneter Politiker", grummelte selbst PO-Politiker Grzegorz Schetyna über den Konkurrenten.

Ein Meer aus polnischen und europäischen Fahnen: Zehntausende Menschen demonstrierten im Dezember in Warschau gegen den konservativen Kurs der Regierung. (Foto: Wojtek Radwnanski/AFP)

Noch hat das Büro der Petru-Partei im Warschauer Zentrum den Charme des Provisoriums; statt Aktenbergen vergangener Legislaturperioden stapeln sich Wasserflaschen hinter dem Eingang. Beim Gespräch strotzt Petru vor Selbstbewusstsein. "Ich will Premierminister werden", sagt er. "Das einfachste Szenario: In dreieinhalb Jahren wird in Polen wieder gewählt, wir gewinnen und übernehmen die Regierung." Auch vorzeitige Wahlen seien nicht ausgeschlossen - wenn die Umfragewerte der Regierungspartei weiter sänken und Proteste gegen die Pis deutlich zunähmen. "Ich denke, wir werden allein in Warschau nicht nur Zehn-, sondern noch Hunderttausende bei Demonstrationen gegen die Pis sehen", sagt Petru, der bald selber Proteste gegen die Regierung organisieren will.

Für Petru und die Moderne-Partei aber geht nun die erste Euphorie zu Ende. Im Parlament gibt es von ihnen kaum Initiativen. Petru schoss einen im katholischen Polen besonders peinlichen Bock, als er statt vom Feiertag der Heiligen Drei Könige von den "Heiligen Sechs Königen" sprach. Parteisprecherin Kamila Gasiuk-Pihowicz wusste im Radio nicht, wie hoch der Steuerfreibetrag in Polen ist - blamabel für eine mit ihrer Wirtschaftskompetenz werbende Partei. Zudem hat die Moderne-Partei Petru zufolge bisher nur 2000 Mitglieder; in den Regionen ist die Partei bisher nur in Großstädten vertreten.

Ohnehin wäre Petru schon rechnerisch auf einen Koalitionspartner angewiesen. Dies wäre nach heutigem Stand die Bürgerplattform. Deren neuer Chef Schetyna will seine demoralisierte Partei wieder aufrichten und programmatisch wie personell erneuern. Für viele Polen aber ist die PO nach acht Jahren Regierung nicht mehr akzeptabel: Das lag auch an Aussagen wie dem durch ein illegal abgehörtes Gespräch bekannt und berüchtigt gewordene Satz der ehemaligen Wirtschaftsministerin (und heutigen EU-Industriekommissarin) Elżbieta Bieńkowska, nur ein "Dieb oder Idiot" würde für ein Gehalt von 6000 Złoty arbeiten - umgerechnet 1360 Euro, weit mehr als das Gehalt eines polnischen Lehrers oder jungen Ingenieurs. Das Zugeben von Fehlern ist trotz der klaren Wahlniederlage bisher keine Stärke der PO, auch nicht von Schetyna. Auf die Frage der SZ nach den schlimmsten Fehlern der Partei antwortet Schetyna in seinem Sejm-Büro: "Wir waren Geiseln unseres Erfolges." Trotz unbestreitbarer Erfolge habe die PO keine Chance gegen die Pis gehabt, die den Polen mehr Wohltaten versprochen habe.

Ryszard Petru hat seine neue liberale Partei Die Moderne auf Anhieb ins Parlament gebracht. Er sagt, "die Polen wollen jemand Neuen und Frischen. Wir sind frisch." (Foto: Janek Skarzynski/AFP)

Zwar sei die Niederlage der PO ein Wendepunkt, "aber keine Katastrophe, wie für andere polnische Parteien zuvor. Wir sind immer noch die stärkste Oppositionsfraktion im Parlament, wir regieren immer noch in 15 von 16 polnischen Regionen, und wir sind im europäischen Parlament vertreten." Schetyna lässt ein neues Parteiprogramm entwerfen. In 380 neuen, über ganz Polen verteilten Bürgerklubs will der neue Vorsitzende von den Polen erfahren, was sie im täglichen Leben bewegt. "Bis zum Sommer 2017 will ich den Wiederaufbau der Partei abschließen", sagt Schetyna.

Nur wenige Bürger in Polen vertrauen den Parteien. Die PO hat gerade noch 17 000 Mitglieder

Das ist in Polen noch schwieriger als in anderen Ländern. Nur wenige Bürger vertrauen Parteien, noch weniger engagieren sich. Während in Deutschland trotz anhaltenden Mitgliederschwunds CDU und CSU immer noch knapp 590 000 Mitglieder haben, die SPD 440 000, kam die PO im 38-Millionen-Einwohnerland Polen selbst auf dem Höhepunkt ihrer Macht 2011 gerade auf gut 44 000 Mitglieder. Heute sind es noch 17 000. Und die Polen halten nicht nur wenig von Parteien - sie strafen sie auch erbarmungslos ab. Die 2001 noch triumphal mit 41 Prozent an die Regierung gewählten Sozialisten etwa wurden vier Jahre später nicht nur abgewählt, sondern verschwanden in der politischen Versenkung. Im Oktober 2015 schafften sie es nicht einmal mehr ins Parlament.

Auch in der PO, die in Umfragen nur noch bei 13 bis 17 Prozent liegt, befürchten viele den Absturz. Vor diesem Hintergrund sieht PO-Chef Schetyna seine Aufgabe nicht nur im Wiederaufbau der eigenen Partei. "Ich würde auch gern eine Koalition aller Oppositionsparteien aufbauen und darüber Verhandlungen beginnen." Darauf sei auch die "Moderne" angewiesen, sagt Schetyna. "Petrus Partei existiert nur hier, im Sejm. Seine Partei hat große Pläne, Ambitionen, weil sie in den Umfragen vorne liegt. Aber nicht Umfragen machen die Macht einer Partei aus, sondern ihre Präsenz in Polens Städten und Regionen."

Newcomer Petru dagegen schreckt vor einem Zusammengehen zurück. "Die PO ist nach acht Jahren an der Macht verbraucht. Die Polen sind nicht wie Wähler in Westeuropa; sie stimmen lieber für eine neue Hoffnung, anstatt noch mal auf die alte zu setzen. Die Polen wollen jemand Neuen und Frischen. Wir sind frisch - niemand kann uns für Fehler der Vergangenheit haftbar machen. Ich kann nur verlieren, wenn ich jetzt einer Koalition mit der PO beiträte." Mittlerweile haben sich Petru und Schetyna mehrmals getroffen - näher gekommen sind sie sich nicht. "Der gemeinsame Feind der polnischen Demokratie ist die Pis unter Jarosław Kaczyński", sagt Schetyna. "Wer denkt, dass er allein gewinnen kann oder indem er die PO schwächt, sichert Kaczyński bei der nächsten Wahl ein weiteres Mandat."

© SZ vom 24.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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