Polen:Nur Rot und Weiß sind erlaubt

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Aus Furcht vor einem Aufmarsch der Rechtsradikalen marschiert die Regierung zum Jahrestag der Unabhängigkeit nun selbst.

Von Florian Hassel, Warschau

Es war eine Kundgebung, der viele Warschauer mit Bangen entgegensahen. Polen feiert am Sonntag 100 Jahre Unabhängigkeit, mit Festansprachen, Marathonläufen und Konzerten. Doch daneben hatten Ultranationalisten einen "Marsch der Unabhängigkeit" angemeldet: Damit geriet Polen schon vor einem Jahr weltweit in die Schlagzeilen, als auf dem Marsch neben Zehntausenden patriotischen Polen auch Hunderte Rechtsextreme und Neonazis mitmarschierten und Teile Warschaus mit rassistischen Transparenten und rotem Rauch in eine Gespensterkulisse verwandelten.

Auch für kommenden Sonntag riefen Gruppen wie die "Allpolnische Jugend" zum nationalistischen "Marsch des Jahrhunderts" auf. Doch je näher der Marsch rückt, je mehr rechtsradikale Gruppen wie der "Schwarze Block" ihr Kommen ankündigten, desto mehr befürchtet Polens Regierung, der 100. Jahrestag werde weltweit von hässlichen Bildern überlagert. Und so kaperte die von der nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) geführte Regierung den nationalistischen Marsch kurzerhand: Am Mittwoch gaben der ebenfalls von der Pis gestellte Präsident Andrzej Duda und Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bekannt, am Sonntag finde - auf der ursprünglich von den Nationalisten angemeldeten Route und zur gleichen Zeit - ein staatlich organisierter Marsch statt, angeführt vom Präsidenten.

Die Ankündigung des "Staatsmarsches" kam nur wenige Stunden, nachdem die zur Opposition gehörende Warschauer Bürgermeisterin den rechtsradikalen "Marsch der Unabhängigkeit" aus Sicherheitsgründen verboten hatte. Ein Warschauer Gericht hob das Verbot der Nationalistendemo am Donnerstagabend auf, doch nach der Ankündigung des "Staatsmarsches" war dies ohne Bedeutung. Polens Regierung hat das Demonstrationsrecht so geändert, dass staatlich organisierte Kundgebungen prinzipiell Vorrang haben. "Am Sonntag findet auf jeden Fall nur der Staatsmarsch statt", sagte eine hochrangige polnische Regierungsquelle.

Am "Marsch der Unabhängigkeit" nehmen auch Faschisten anderer Länder teil, etwa aus Italien

Am Staatsmarsch dürfen auch ultranationalistische Gruppen teilnehmen. Polens Regierung werde vor dem Marsch am Sonntag "mit den Organisatoren des ursprünglichen Marsches der Unabhängigkeit über ihre Teilnahme am staatlichen Marsch reden - die Reaktion ist positiv", sagte die Regierungsquelle. Offiziell sollen am Sonntag nur rot-weiße Fahnen zu sehen sein - so der Aufruf von Präsident Andrzej Duda. Polizei und Geheimdienst sollen den Marsch kontrollieren. "Doch es wird schwer sein, alle Demonstranten unter Kontrolle zu bringen", sagte die Regierungsquelle. "Wir rechnen mit bis zu 200 000 Teilnehmern."

Normalerweise sollen Unabhängigkeitsfeiern nationale Einigkeit demonstrieren. In Polen aber sind sie zunehmende ein Zeichen der Spaltung. Zwar luden Präsident Duda und Ministerpräsident Morawiecki am Donnerstag offiziell auch die Führer der polnischen Oppositionsparteien zum Staatsmarsch ein. Doch von denen dürfte kaum jemand der Einladung folgen - allein schon, um nicht einen Schulterschluss der Regierung mit dem ultranationalistischen Lager sozusagen durch ihre Teilnahme abzusegnen.

Nachdem 2017 die Bilder der in Warschau auftretenden Rechtsradikalen um die Welt gegangen waren, lobte der damalige Innenminister Mariusz Błaszczak lediglich das "schöne Bild" der Kundgebung mit den zahlreichen rot-weißen polnischen Fahnen. In Kattowitz ließen Mitglieder des National-Radikalen Lagers (ONR) 2017 die Figuren von sechs Europaparlamentariern an Galgen baumeln. Ein Jahr später ist trotz Fotos und Videos des Ereignisses keiner der beteiligten Rechtsradikalen vor Gericht gestellt worden, das stellte das Europäische Parlament fest.

Am "Marsch der Unabhängigkeit" nehmen in den letzten Jahren nicht nur nationalstolze Polen teil, sondern auch Faschisten anderer Länder, etwa von Forza Nuova aus Italien. Auch diesmal wollen Rechtsradikale aus anderen Ländern nach Warschau kommen. Für Samstagabend hat die rechtsradikale Gruppe Niklot im "Kampf um die Freiheit" für etwa 400 Gesinnungsgenossen in Warschau an einem geheim gehaltenen Ort ein Konzert organisiert: Auf dem wollen die schwedische Band Code 291 (Titel ihres aktuellen Albums: "Heute tolerant, morgen tot") und die polnische Band Obłęd ("Wahnsinn") mit Songs wie "Skin auf Tour!" auftreten.

"Wir sehen uns am 10. - und gehen am 11. zum Marsch!", damit riefen die Organisatoren für den Tag nach dem Konzert zur massenhaften Teilnahme am nationalistischen Marsch auf.

© SZ vom 09.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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