Polen:Letzter Akt

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Auch mehr als 1000 Änderungsanträge der Opposition können nichts ausrichten: Polens Parlament beschließt das hochumstrittene Gesetz zum Obersten Gericht. Man fürchte die EU nicht, heißt es aus der Regierung.

Von Florian Hassel, Warschau

Mitglieder von Polens Regierungspartei, auch ihr Chef Kaczyński (vorne Mitte), reagieren lächelnd auf einen Redner der Opposition. (Foto: J. Turczyk/epa)

Selbst an einem der dramatischsten Tage der polnischen Parlamentsgeschichte gab es Platz für Komik: Um elf Uhr am Donnerstagvormittag gab der Abgeordnete Władysław Kosiniak-Kamysz, Chef der Bauernpartei (PSL) mit Bedauern bekannt, dass dieser Tag wohl leider nicht geeignet sei, um über die beantragte Entlassung des Landwirtschaftsministers zu beraten. Es war ein seltener Moment der Leichtigkeit in Stunden, in denen die Mehrheit der rechtspopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (Pis) im Parlament die Unabhängigkeit des Obersten Gerichts Polens beseitigte.

Es war Nachmittag, als das Parlament das Gesetz schließlich verabschiedete. Zuvor hatten freilich erst die Weichen gestellt werden müssen: Am Dienstag hatte das Parlament den Entwurf, der das Oberste Gericht in seiner bisherigen Form auflöst, alle Richter entlässt und das Gericht künftig faktisch dem Justizminister unterstellt, in erster Lesung beschlossen. Vor der zweiten Lesung geht ein Gesetz - eigentlich - in den Ausschuss für Gesetzgebung. Dieser stellt, gewöhnlich mit Hilfe von Experten und Anhörungen, fest, ob der Entwurf verfassungsgemäß ist. Damit aber hapert es: Schließlich stellten Polens führende Rechtsprofessoren, die Richtervereinigung, Anwälte, fünf ehemalige Präsidenten des Verfassungsgerichts und der Vorsitzende des Landesjustizrats übereinstimmend fest, das Gesetz über das Oberste Gericht sei ebenso verfassungswidrig wie andere, die die nationalpopulistische Regierung in den vergangenen Wochen und Monaten beschlossen hatte, um sich Polens Justiz vollständig zu unterstellen.

Parallel verbreiten regierungsnahe Medien, die Opposition rufe zum Putsch auf

Also schickte die Regierungsmehrheit den Entwurf am Mittwoch lieber in den Justizausschuss. Dort wartete Stanisław Piotrowicz, ein unter Polens Kommunisten mit Dissidentenverfolgung befasster Staatsanwalt und heute Vorsitzender des Ausschusses. Vor Piotrowicz lag ein dicker Papierstapel mit Änderungsanträgen der Opposition. Später legte ein Oppositionsabgeordneter noch ein paar Hundert weitere obendrauf. Doch Piotrowicz machte mit den Anträgen ebenso kurzen Prozess wie mit anderen Parlamentsregeln: Wer reden wolle, so Piotrowicz, dürfe höchstens eine Minute reden. Wer nicht genehme Anträge stellen wollte, dem drehte Piotrowicz das Mikrofon ab. Trotz der etwa 1300 Änderungsanträge ging es also flugs voran: Einige Pis-Anträge wurden angenommen, weit über 1200 der Opposition abgelehnt. Der Opposition zufolge widersprach dies sowohl Parlamentsregeln wie der Verfassung. Aus Protest sangen die Oppositionsparlamentarier die Nationalhymne.

Geholfen hat dies freilich nichts. Bevor das Parlament am Donnerstag zur entscheidenden Sitzung zusammenkam, machte Zbigniew Ziobro, Justizminister und Generalstaatsanwalt in einer Person und einer der mächtigsten und gefürchtetsten Männer Polens, klar, das Gesetz werde wie geplant angenommen. Dann ging alles schnell: Um 14 Uhr eröffnete der von der Pis gestellte Parlamentspräsident die Sitzung des Plenums, eine halbe Stunde später wurden in zweiter Lesung einige Änderungen der Pis angenommen und alle Oppositionsanträge abgelehnt. Und eine weitere halbe Stunde später war das Gesetz über das Oberste Gericht mit 235 Stimmen der Regierungsmehrheit gegen 192 Stimmen der Opposition beschlossen.

Es hatte auch nichts mehr geholfen, dass Adam Bodnar, der unter anderem mit der Wahrung der Verfassung betraute Ombudsmann Polens, den Entwurf rechtswidrig und "schandhaft" nannte und die Regierungsmehrheit aufforderte, ihn abzulehnen. "Die Partei regiert, die Partei entscheidet!", fasste Bauernparteichef Kosiniak-Kamysz die Prozedur ironisch zusammen - und appellierte an Präsident Andrzej Duda: "Nur Sie können diesen Wahnsinn stoppen!" Theoretisch könnte dies auch der Senat, Polens obere Parlamentskammer. Doch auch der wird von der Pis kontrolliert. Seine Zustimmung bis zum 28. Juli gilt als Formsache.

Alle Polen, die gehofft hatten, der ebenfalls aus der Pis kommende Präsident werde sein Veto gegen verfassungswidrige Gesetze seiner Partei einlegen, wurden seit dessen Amtsantritt 2015 enttäuscht. "Andrzej, es ist immer noch Zeit, um zu verstehen, dass die Verfassung das Wichtigste ist!", appellierte Dudas Doktorvater, Professor Jan Zimmermann von der Universität Krakau, am Donnerstag an seinen einstigen Studenten. Doch der Präsident, mit dem er seit 20 Jahren auf "du" gewesen sei, habe jeden Kontakt abgebrochen. Duda schwieg - und lehnte auch ein Treffen mit Donald Tusk ab, dem Vorsitzenden des Europäischen Rates. "Ich fürchte keine Sanktionen der EU", bekräftigte auch Polens stellvertretender Ministerpräsident, Wirtschaftsminister Mateusz Morawiecki.

Polen ist in den Sommerferien - doch nun demonstrieren jeden Abend Tausende Polen in den großen Städten vor Gerichten, Verwaltungssitzen oder, wie in Warschau, vor dem Präsidentenpalast oder dem Parlament. Das ist seit dem vergangenen Wochenende mit Metallbarrieren zur Festung umgebaut. Wasserwerfer stehen bereit; Polizisten haben Berichten polnischer Medien zufolge Befehl bekommen, die Zeichen ihrer Einheit von ihren Uniformen zu entfernen - damit sie im Fall gewaltsamer Zusammenstöße nicht zu identifizieren sind.

Vor dem Parlament hat die Opposition auch eine Bühne aufgebaut, mit Genehmigung der von der Opposition gestellten Warschauer Bürgermeisterin. Alte Helden der Solidarność-Bewegung sprechen ebenso wie junge Oppositionspolitiker, zwischendurch wird die Nationalhymne gesungen. Polens regierungskontrolliertes Fernsehen verbreitet derweil, die Opposition habe zum Putsch aufgerufen.

© SZ vom 21.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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