Polen:Für die richterliche Unabhängigkeit

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Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg verurteilt Polens Eingriffe in die Justiz, etwa die Zwangspensionierung von Richtern. Unklar ist, welche weiteren Folgen das Urteil haben wird.

Von Florian Hassel, Warschau

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Polens Zwangspensionierung von Richtern als Verstoß gegen EU-Recht und gegen die Grundsätze richterlicher Unabhängigkeit und der Unabsetzbarkeit von Richtern verurteilt. Der EuGH folgte damit einer Klage der EU-Kommission.

Demnach verstieß eine im April 2018 rückwirkend eingeführte herabgesetzte Altersgrenze für Richter und Staatsanwälte, die teils unterschiedlich für Männer und Frauen ausfiel, ebenso gegen EU-Recht und richterliche Unabhängigkeit wie Befugnisse der polnischen Präsidenten, der Richtern eigenhändig längere Amtszeiten genehmigen oder verweigern durfte. Die Änderungen ermöglichten es Polens Regierung im Sommer 2018 zunächst, 27 von damals 72 Richtern des Obersten Gerichts (SN) einschließlich der Gerichtspräsidentin in Zwangsrente zu schicken.

Unklar ist, welche weiteren Folgen das Luxemburger Urteil haben wird

Unklar ist, welche weiteren Folgen das Luxemburger Urteil hat. Zwar wurden am SN einige zwangspensionierte Richter und Gerichtspräsidentin Malgorzata Gersdorf bereits nach einer Vorentscheidung des EuGH wieder eingesetzt. Doch auch Richter anderer Gerichte und Staatsanwälte sind betroffen. Schon bis Anfang 2018 wurden auf Grundlage eines weiteren umstrittenen Gesetzes 138 Gerichtspräsidenten oder ihre Stellvertreter an anderen Gerichten vom Justizminister (in Polen gleichzeitig Generalstaatsanwalt) ohne Begründung entlassen.

Zudem wurde am SN eine regierungskontrollierte Sonderdisziplinarkammer geschaffen, die jeden Richter oder Staatsanwalt entlassen kann. Eine weitere Sonderkammer am SN erhielt das Recht, jedes rechtskräftige Urteil der letzten zehn Jahre in Polen nachträglich aufzuheben. Auch der mit der Auswahl von Richtern betraute Landesjustizrat (KRS) ist Experten zufolge nicht mehr unabhängig.

Der EuGH bekräftigte in seinem Urteil vom Montag, dass die Überprüfung rechtsstaatlicher Grundsätze in den Mitgliedsstaaten grundsätzlich in die Kompetenz des Gerichtes falle. Am 14. Mai beriet der EuGH, ob Polens KRS und die neue SN-Disziplinarkammer politisch abhängig sind und ebenfalls EU-Recht verletzten. Die Schlussanträge folgen am Donnerstag, das Urteil wird für den Spätsommer erwartet. Am 18. Juni verhandelte der EuGH zudem, ob von Warschau eingeführte Disziplinarprozeduren generell die richterliche Unabhängigkeit verletzen - dieses Urteil folgt voraussichtlich Ende 2019.

Insgesamt liegen dem EuGH aus Polen im Zusammenhang mit möglicher Verletzung der Unabhängigkeit der Justiz zwölf Anfragen polnischer Gerichte vor. So entscheidet der EuGH möglicherweise auch, ob 37 unter dem neuen Regime ernannte SN-Richter im Widerspruch zu EU-Recht berufen wurden - und ob alle ihre Urteile ungültig sind. Ähnliche Bedenken haben etliche Juristen auch bei Polens Verfassungsgericht, das nicht mehr unabhängig sei und nur noch im Regierungssinne entscheide. Adam Bodnar, der das Amt des Menschenrechtskommissars bekleidet, ein noch nicht von der Regierung kontrolliertes Verfassungsorgan, erkennt etliche Urteile des Verfassungsgerichtes nicht mehr an, wenn daran ein rechtswidrig ernannter Richter beteiligt war.

© SZ vom 25.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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