Polen:Ein Fall für das Geschichtsbuch

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Polens Regierung lobt sich nach dem Nato-Gipfel überschwänglich selbst, Verteidigungsminister Macierewicz habe sich "in die Geschichte eingeschrieben". Kritik von US-Präsident Obama blendet Warschau aus.

Von Florian Hassel, Warschau

Für Polens Präsidenten schienen nur Superlative gut genug zu sein, um den Nato-Gipfel und eigene Erfolge zu würdigen. Entscheidungen von "historischer Bedeutung" seien getroffen worden. Teilnehmer hätten den Gipfel phänomenal bewertet, die Staats- und Regierungschefs aus aller Welt die Organisation als "brillant" und "exzellent" gelobt, pries Präsident Andrzej Duda sich und andere polnische Offizielle. Ganz Polen sei enorm stolz"

Der größte Erfolg aus Dudas Sicht: Dass künftig "mehrere Tausend amerikanische Soldaten bei uns stationiert sein werden": etwa 1000 US-Soldaten als Führungskraft eines der vier Nato-Bataillone, die von 2017 an in Polen und den drei baltischen Republiken stationiert sein werden. Polen wird von 2017 an auch Hauptstützpunkt einer 4000 Mann starken, durch Ost- und Südosteuropa rotierenden US-Brigade sein. Dazu kommen US-Piloten auf dem Flughafen Łask oder als Marines auf der im Bau befindlichen Radar- und Raketenbasis Redzikowo an der Ostsee. Weitere US-Basen sollen in Polen schweres Militärgerät beherbergen.

Polens Regierung sieht all dies umso mehr als Erfolg, als vor allem Deutschland auf die Gültigkeit der Nato-Russland-Grundakte pocht und sich lange gegen die Stationierung von Nato-Truppen in Polen gesträubt hatte. Die wichtigste Entscheidung des Gipfels sei "der Bruch mit der Regel, dass Russland ein Veto-Recht hat, ob ein Teil der Nato-Mitglieder das Recht hat, seine Verbündeten ernsthaft zu Hilfe zu rufen, um sie auf ihrem Territorium zu stationieren", sagte Verteidigungsminister Antoni Macierewicz. Bisher sei Polen in Wahrheit nur "ein politisches Mitglied der Nato" gewesen, "aber wir konnten nicht um die Stationierung von Truppen bitten, wenn wir uns bedroht fühlten". Auch Jarosław Kaczyński, Chef der Regierungspartei Pis und Polens eigentlich mächtigster Mann, lobte den Gipfel als "großen Erfolg für Polen". Verteidigungsminister Macierewicz, habe sich damit "ein weiteres Mal in die Geschichte eingeschrieben".

Für Pis-Parteichef Kaczyński ist Polen "ein Musterbeispiel der Demokratie"

Rein militärisch ändern im Fall eines Konflikts mit Russland auch einige Tausend Nato-Soldaten in Osteuropa wenig am Kräfteverhältnis. Die regierungsnahe Rzeczpospolita erinnerte daran, militärischen Planspiele etwa der amerikanischen Rand-Stiftung zufolge könne Russland das Baltikum binnen drei Tagen besetzen. Der Warschauer Analyst Marcin Zabarowski sagte, er sei enttäuscht, dass der Gipfel nur die Stationierung von vier Bataillonen beschlossen habe und Polen als großes Land gerade ein Bataillon abbekomme.

Polens eng von der Regierung kontrolliertes öffentlich-rechtliches Fernsehen und Radio ließen derlei Differenzierungen außer Acht. Die Regierungsmedien hatten noch ein anderes Problem: Wie mit der Kritik von Präsident Obama an Polens wackelnder Rechtsstaatlichkeit umgehen? Der US-Präsident sagte, er habe Präsident Duda bei einem Treffen auch "unsere Bedenken über gewisse Aktionen und die Sackgasse um Polens Verfassungsgericht mitgeteilt". Polen müsse nicht nur in dieser Frage "mehr tun", sondern auch demokratische Institutionen wie eine freie Presse, eine unabhängige Justiz und die Herrschaft des Gesetzes festigen. Der US-Präsident spielte damit auf fragwürdige Gesetze an, mit denen Polens Regierung Verfassungsgericht, Staatsanwaltschaft oder öffentliche Medien unter Kontrolle brachte. Polens Hauptnachrichtensendung Wiadomosci verschwieg all dies ebenso wie regierungsnahe Tageszeitungen.

Nachdem der private Fernsehsender TVN und Polens auflagenstärkste Tageszeitung Fakt über Obamas Kritik berichtet hatten, legte die Regierung nach Gipfelschluss nach. Präsident Duda behauptete im Regierungssender TVP Info, Obama habe keine Gefahr für die Demokratie in Polen gesehen und "anerkannt, dass dies ein politischer Streit ist". An dem trage Polens Opposition die Schuld. Die Regierung versuche, den Streit mit einem neuen Gesetz zu beenden. Dieses Gesetz, am Donnerstag vergangener Woche vom Sejm, der unteren Kammer des polnischen Parlaments, verabschiedet, unterstellt das Verfassungsgericht faktisch der Regierung. Es enthält etliche Bestimmungen, die Empfehlungen der Venedig-Kommission des Europarates für eine unabhängige Justiz und wirksame Gewaltenteilung widersprechen. Pis-Parteichef Kaczyński wies Obamas Kritik zurück. Polen sei "ein Musterbeispiel an Demokratie".

© SZ vom 11.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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