Polen:Drohung mit dem Werkzeugkasten

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Es bleibt zunächst bei Stufe zwei: Die EU-Kommission gewährt der rechtskonservativen polnischen Regierung weitere zwei Monate Aufschub bei der Lösung ihrer rechtsstaatlichen Probleme.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Die EU-Kommission sieht den Rechtsstaat in Polen weiter in ernster Gefahr, schreckt aber vorläufig vor einer Eskalation zurück. "Es gibt ein anhaltendes Problem mit der Rechtsstaatlichkeit in Polen", sagte der Erste Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, am Mittwoch in Brüssel. Die Kommission habe deshalb entschieden, eine Reihe neuer Empfehlungen nach Warschau zu schicken und erwarte eine Antwort binnen zwei Monaten.

Erst danach will die EU-Kommission möglicherweise den Beginn eines Verfahrens beantragen, das nach dem EU-Vertrag zum Entzug von Mitgliedsrechten führen könnte. "Das ist in unserem Werkzeugkasten", warnte Timmermans. Die Kommission werde "die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen" und empfinde "ein starkes Gefühl der Solidarität" mit dem polnischen Volk.

"Ich glaube daran, dass jeder einzelne polnische Bürger einen Anspruch auf eine klare Gewaltenteilung hat", sagte Timmermans. Bereits im Juli hatte die Kommission Empfehlungen abgegeben und der polnischen Regierung eine Frist von drei Monaten gesetzt. Seitdem habe es aber nur geringfügige Verbesserungen gegeben, betonte der Vizepräsident.

Der Konflikt dreht sich um das polnische Verfassungsgericht, dessen Urteile die national-konservative Regierung seit einem Jahr fortlaufend ignoriert. Die EU-Kommission verlangt die Veröffentlichung und Beachtung der Urteile. Außerdem sollen drei Richter, die vor Antritt der jetzigen Regierung gewählt worden waren, ihr Amt ausüben können. In ihren Empfehlungen geht die Kommission auf jüngste Gesetzesänderungen in Polen ein und warnt davor, die Rolle des Gerichts als Garant der Verfassung weiter zu unterminieren.

Die bisherigen Erfahrungen mit Warschau stimmen die Kommission pessimistisch

In Warschau übertrug derweil Präsident Andrzej Duda der Juristin Julia Przyłebska die Leitung des Verfassungsgerichts. Sie war von den Nationalkonservativen in das Gericht gewählt worden. Die Amtszeit des bisherigen Gerichtspräsidenten Andrzej Rzepliński hatte nach neun Jahren geendet. Rzepliński hatte sich geweigert, die Vorgaben der neuen Regierungsmehrheit umzusetzen. Unter Przylebskas Vorsitz dürfen nun hingegen auch drei nachträglich von den Nationalkonservativen gewählte Richter an Urteilen mitwirken. Die polnische Opposition beklagt, dass das Gericht dadurch vollständig unter die Kontrolle der Regierung gerate. Auch der Konflikt mit der EU-Kommission verschärft sich dadurch.

"Ich habe mein Möglichstes getan, zum Teil unter schwierigen Umständen, um einen Dialog mit der polnischen Regierung aufrechtzuerhalten, weil ich verzweifelt bemüht bin, dieses Problem zu lösen", sagte Timmermans. "In allen unseren Mitgliedstaaten ist die Unabhängigkeit der Justiz ein fundamentales Element für das Funktionieren unserer Gesellschaften, für das Funktionieren des Binnenmarktes, für den Schutz der individuellen Rechte unserer Bürger", betonte er. Seine Erfahrungen mit der polnischen Regierung veranlassten ihn nun nicht zu Optimismus. Dennoch wolle er sich weiter um eine Lösung bemühen.

In der Auseinandersetzung mit der polnischen Regierung wendet die EU-Kommission einen 2014 eingeführten dreistufiger Mechanismus an. Bereits mit den Empfehlungen im Juli hatte sie die zweite Stufe aktiviert. In der dritten Stufe könnte sie ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages einleiten. "Wir überqueren diese Brücke, wenn wir sie erreicht haben", sagte Timmermans dazu.

"Wenn wir weitere Schritte unternehmen würden, brauchen wir politische Unterstützung im Rat und auch im Europäischen Parlament", räumte Timmermans ein. Hierzu erwarte er eine Debatte. Er selbst werde die kommenden Monate nutzen, "um zu sehen, wie darüber nachgedacht wird". Der EU-Vertrag sieht vor, dass auf Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments oder der EU-Kommission festgestellt werden kann, dass die "eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung" der Grundwerte der EU durch einen Mitgliedstaat besteht. Dem müssten aber vier Fünftel der EU-Staaten zustimmen. Eine weitere Stufe, die zum Entzug von Stimmrechten führen könnte, bedarf sogar der Einstimmigkeit mit Ausnahme des betroffenen Staates.

Ein Erfolg des Verfahrens gilt daher als äußerst fraglich. So hat etwa Ungarn, das wie Polen von einer nationalkonservativen Regierung geführt wird, bereits Widerstand gegen einen solchen Schritt angekündigt.

© SZ vom 22.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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