Polen:Der Präsidenten-Bonus

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Will Polens Präsidentin werden: Małgorzata Kidawa-Blońska. (Foto: Czarek Sokolowski/dpa)

Staatschef Andrzej Duda hat gute Chancen auf eine Wiederwahl. Die Opposition ist bei der anstehenden Abstimmung zersplittert, setzt aber Hoffnungen in den eventuell nötigen zweiten Wahlgang.

Von Florian Hassel, Warschau

Wochenlang hatte Polens Regierung betont, beim Thema Coronavirus seien keinerlei Sondermaßnahmen erforderlich. Doch am Montag traf Präsident Andrzej Duda Regierungschef, Innenminister und Gesundheitsminister zur angeblich erforderlichen Krisenbesprechung. Dann trat auf Dudas Wunsch das Parlament zu einer Sondersitzung zusammen und beschloss ein erst am Vorabend vorgelegtes Sondergesetz. Die plötzliche Aktivität hat freilich wenig mit dem Coronavirus zu tun - bis heute gibt es in Polen keinen identifizierten Kranken.

Stattdessen bot der Virus-Montag eine Bühne für den Präsidenten: Duda steht im Mai zur Wahl - einer Wahl von erheblicher Bedeutung. Seit Duda im Frühjahr 2015 zum Präsidenten gewählt wurde und Ende 2015 seine nationalpopulistische Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) an die Regierung kam, hat er etliche offen verfassungswidrige Gesetze unterschrieben und rechtswidrige Manöver unterstützt: So weigerte er sich, legal gewählte, unabhängige Verfassungsrichter zu vereidigen und vereidigte stattdessen rechtswidrig gewählte Richter unter Kontrolle der Partei.

Duda liegt in den Umfragen bei mindestens 40 Prozent

Zuletzt unterschrieb Duda Anfang Februar das auch EU-Recht widersprechende "Maulkorbgesetz", mit dem sich die Regierung noch unabhängige Richter untertan machen will. Bleibt Duda Präsident, kann die PiS durchregieren wie bisher. Gewinnt die Opposition, ist es damit vorbei: Polens Präsident kann gegen jedes Gesetz sein Veto einlegen. Und die PiS ist im Parlament weit von einer Drei-Fünftel-Mehrheit entfernt, die für die Überstimmung eines Vetos nötig ist.

Duda liegt in Umfragen bei mindestens 40 Prozent. Die führende Kandidatin der Opposition, die Ex-Parlamentspräsidentin Małgorzata Kidawa-Blońska, kommt auf gerade 25 Prozent. Doch Polens Opposition schickt weitere Kandidaten ins Rennen: etwa Władysław Kosiniak-Kamysz, Chef der Bauernpartei PSL. Auch der charismatische Robert Biedroń, Polens erster offen homosexuell auftretender Parlamentarier und zuletzt Führer der linken Partei "Frühling", tritt an. Da ist der katholische Fernsehjournalist Szymon Hołownia. Und für die rechtsnationalistische Konföderation, im Oktober ins polnische Parlament eingezogen, tritt Krzysztof Bosak an.

Keiner dieser Kandidaten hat eine Siegeschance, in Umfragen liegen sie jeweils bei höchstens zehn Prozent. Doch die Stärke der Opposition liegt in einer Vereinigung im wahrscheinlichen zweiten Wahlgang: Bekommt Duda bei der Wahl am 10. Mai nicht 50 Prozent plus eine Stimme, muss er gegen die voraussichtliche Zweite Kidawa-Blońska in die Stichwahl. Ausgeschiedene Oppositionskandidaten dürften ihre Wähler dann aufrufen, Kidawa-Blońska zu wählen. Schon bei der Parlamentswahl am 14. Oktober stimmten zwar acht Millionen Polen für die PiS, doch fast neun Millionen für die Opposition. Nur die Eigenheiten des polnischen Wahlrechts sicherten der Regierung ihre absolute Mehrheit im Parlament.

Bis zum Coronavirus-Sondergipfel jagte bei Duda und seiner Partei ein Skandal den nächsten. Der schlagzeilenträchtigste drehte sich um einen ausgestreckten Mittelfinger. Den zeigte die eng mit PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński verbundene PiS-Abgeordnete Joanna Lichocka im Parlament der Opposition. Dieses Bild elektrisierte viele Polen; für sie symbolisierte es den arroganten Stil der PiS und etliche folgenlose Skandale der Partei.

Auch Duda trat in den Fettnapf: Erst erklärte seine neue Wahlkampfchefin Jolanta Turczynowicz-Kieryłło im ersten Interview, Staatsräson gehe vor Pressefreiheit. Dann kam heraus, dass sie einem Polen, der sie im November 2018 im Warschauer Vorort Milanówek bei einer offenbar illegalen Wahlkampfaktion ertappt hatte, in die Hand gebissen hatte, als dieser sie bis zum Eintreffen der Polizei festhalten wollte. Zuletzt bewegten viele Polen Recherchen der Gazeta Wyborcza über mögliche zurückliegende Mafiakontakte der heutigen Ehefrau des Justizministers und Generalstaatsanwalts. Die Ehefrau nennt die Berichte "Fake News".

Die Gretchenfrage ist, wie sehr sich all dies auf die Zustimmung für Duda auswirkt. Seine Wähler wohnen vor allem in Dörfern und Kleinstädten: Kaum eine Gemeinde, die Duda in seinen fünf Jahren als Präsident nicht besucht hat. Oppositionskandidatin Kidawa-Blońska versucht aufzuholen: Noch bevor sie am Samstag auf einem Sonderparteitag ihrer Partei "Bürgerplattform" (PO) offiziell zur Präsidentschaftskandidatin gekürt wurde, war sie bereits wochenlang durch Dörfer und Gemeinden getourt. Dort wird die Meinung freilich vor allem durch TVP gemacht: Kürzlich zeigten die Abendnachrichten zehn Minuten Präsident Duda, und 90 Sekunden andere Präsidentschaftsbewerber. Kidawa-Blońska kam auf 20 Sekunden.

© SZ vom 04.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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