Polen:Auf Distanz zur EU

Lesezeit: 2 min

Polens neuer Präsident Andrzej Duda orientiert sich nach Osten. Sein erster Staatsbesuch führt ihn nicht etwa nach Berlin oder Brüssel - sondern nach Estland.

Von Florian Hassel, Warschau

Es ist ein sorgsam gewählter Tag, mit einem sorgsam gewählten Gesprächspartner, wenn Polens neuer Präsident Andrzej Duda am Sonntag zu seinem ersten Auslandsbesuch nicht etwa nach Berlin, Paris oder Brüssel fliegt, sondern nach Tallinn, in die Hauptstadt Estlands. Es ist der Jahrestag der Unterzeichnung des Nichtangriffspaktes, mit dem die Diktatoren Hitler und Stalin am 23. August 1939 Osteuropa einschließlich Polens und des Baltikums unter sich aufteilten. Dudas Gesprächspartner ist Estlands Präsident Toomas Hendrik Ilves, seit Jahren wortmächtiger Warner vor einem aggressiven Russland. Gern kritisiert Ilves aus seiner Sicht naive Russland-Versteher in Deutschland und fordert ständige Nato-Militärbasen in Osteuropa. Da weiß er sich mit Duda einig, der als Präsident und nomineller Oberbefehlshaber der Armee ebenfalls die Stationierung von Nato-Kampfeinheiten in Polen und anderen Ländern Osteuropas fordert. Auch und gerade, wenn dies Deutschland bisher ablehnt.

Am 28. August kommt Duda auch zum Antrittsbesuch nach Berlin und trifft sowohl Bundespräsident Joachim Gauck als auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Nicht nur bei dieser Gelegenheit dürfte Duda beim Thema Nato-Basen nicht lockerlassen. Noch bevor Polen 2016 Gastgeber des nächsten Nato-Gipfels ist, empfangen Duda und der rumänische Präsident Klaus Johannis Anfang November in Bukarest sieben Kollegen zu einem Mini-Gipfel der ost- und südosteuropäischen Nato-Länder. Dann werden sie wohl erneut Nato-Kampfsoldaten in Osteuropa fordern. Kritische Botschaften gegenüber deutschen Politikern überlässt Duda noch seinem außenpolitischen Chefberater Krzysztof Szczerski. "Jedes Mal, wenn in Europa die Politik des Appeasement triumphiert hat, hat dies mit einem bösen Szenario geendet", begründete Szczerski im Magazin Wprost, warum Berlin umdenken müsse.

Bald wird ein neues Parlament gewählt, der Staatschef betätigt sich als Wahlkampfhelfer

Die Forderung nach Nato-Soldaten ist nicht die einzige, mit der die Duda-Mannschaft zumindest rhetorisch neues Selbstbewusstsein gegenüber Berlin demonstrieren will. Am Tag vor seiner Vereidigung sagte Duda, Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges im Donbass erforderten eine Friedenskonferenz in einem "neuen Format". Bisher treffen sich dazu nur Russland, die Ukraine, Frankreich und Deutschland. "Wir wollen im Zentrum der Entscheidungen stehen", formulierte Chefberater Szczerski den generellen Anspruch Dudas auf eine wichtigere Rolle für Polen.

Andrzej Dudas erste Reise hat Symbolkraft. (Foto: Piotr Malecki/Bloomberg)

Auch sonst versucht der Europaskeptiker Duda andere Zeichen zu setzen als sein europafreundlicher Vorgänger Bronisław Komorowski. Mitte September besucht er Englands ebenfalls europaskeptisch auftretenden Premier David Cameron. Ein Besuch in Brüssel dagegen ist noch nicht terminiert. Auch sachlich will Duda gegenüber der EU Distanz wahren - sowohl bei der Aufnahme von Flüchtlingen wie beim EU-Klimaziel, den CO₂-Ausstoß um 40 Prozent zu verringern. Duda und seine Mitarbeiter bekräftigen, Polen wolle seine Energie weiterhin vor allem aus einheimischer Kohle produzieren.

Solche Stellungnahmen sind vor allem innenpolitisch motiviert - mehr als 100 000 polnische Bergleute wählen überwiegend Dudas nationalpopulistische Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS). Und am 25. Oktober entscheiden die Polen bei der Parlamentswahl, ob die PiS den Sprung aus der Opposition zurück an die Regierung schafft und Dudas vollmundigen Erklärungen ein echter Politikwechsel im Parlament folgt. Bis dahin profiliert sich der neue Präsident - zur Überparteilichkeit verpflichtet - als faktischer Wahlkampfhelfer: Am Donnerstag verkündete er, er wolle am Wahltag auch eine Volksbefragung zur Senkung des Rentenalters, zur Aufhebung der Schulpflicht für Sechsjährige und zum unpopulären Verkauf von Staatsforsten ausschreiben. So ein Referendum über nicht staatswichtige Fragen wäre nach Ansicht führender Juristen verfassungswidrig. Doch der neue Präsident bringt damit die noch von der gegnerischen Bürgerplattform (PO) gestellte Mitte-Rechts-Regierung in die Defensive: Sie kann ein Referendum mit ihrer Mehrheit im Oberhaus ablehnen - und müsste sich dann im Wahlkampf dem Vorwurf aussetzen, nicht auf das Volk zu hören.

© SZ vom 22.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: