Plagiatsvorwürfe gegen Koch-Mehrin:Die Schweigblockade

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Hat Silvana Koch-Mehrin abgeschrieben? Immer neue Fundstellen in der Doktorarbeit der FDP-Spitzenfrau deuten darauf hin. Sie selbst aber will sich noch immer nicht dazu äußern. Inzwischen befasst sich auch die Staatsanwaltschaft Heidelberg mit Koch-Mehrins Dissertation.

Thorsten Denkler und Cerstin Gammelin

Silvana Koch-Mehrin schweigt. Auch am dritten Tag, nachdem sie mit in ihrer 2001 abgeschlossenen Doktorarbeit unter Plagiatsverdacht geraten war, will sich die Vize-Präsidentin und Fraktionsvorsitzende der FDP im Europaparlament nicht zu den Vorwürfen äußern. Dies bestätig ein Sprecher Koch-Mehrins auf Nachfrage.

Silvana Koch-Mehrin
:Karriere mit Knick

FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin galt als Nachwuchshoffnung ihrer Partei: Im EU-Parlament inszenierte sie sich gekonnt als Expertin für Frauen, Kinder und Familie. Mit ihrer in Teilen plagiierten Doktorarbeit begann der Abstieg der Spitzenliberalen.

Dabei werden in der 227 Seiten starken Arbeit über die lateinische Münzunion beinahe stündlich neue Textstellen identifiziert, die Koch-Mehrin zum Teil eins zu eins, zum Teil in leicht veränderter Form aus anderen Texten übernommen haben soll, ohne die Quelle zu kennzeichnen. Der Onlineplattform Vroniplag zufolge sind Plagiate auf mehr als 15 Prozent der Seiten nachgewiesen. Die Macher der Webseite haben es sich zur Aufgabe gemacht, Doktorarbeiten von Politikern zu prüfen. Bei Koch-Mehrin beschränkten sich die Funde bis Dienstag vor allem auf das erste Drittel der Arbeit. Jetzt scheinen auch die hinteren Teile der Dissertation betroffen zu sein.

Ein Beispiel: Auf Seite 58 heißt es bei Koch-Mehrin: "Die Vielzahl der herausgearbeiteten Funktionen läßt sich auf drei volkswirtschaftliche Grundfunktionen zurückführen, nämlich einerseits die beiden konkreten Funktionen als allgemeines Tauschmittel und als Wertaufbewahrungsmittel, und andererseits die abstrakte Funktion einer Recheneinheit."

Nahezu wortgleich finden sich die Sätze laut VroniPlag im Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften aus dem Jahr 1981: "Die Vielzahl der herausgearbeiteten Funktionen läßt sich auf drei volkswirtschaftliche Grundfunktionen zurückführen, nämlich die beiden konkreten Funktionen des allgemeinen Tauschmittels und des Wertaufbewahrungsmittels einerseits und die abstrakte Funktion der Recheneinheit andererseits."

Die Uni Heidelberg ist seit Montag über die Funde informiert und hat formell ein Prüfungsverfahren eingeleitet. An diesem Mittwoch tritt regulär der Rat der philosophischen Fakultät zusammen, an der Koch-Mehrin die Arbeit vorgelegt hat, um sich auf den Stand der Dinge bringen zu lassen. Koch-Mehrins damaliger Doktorvater ist der inzwischen emeritierten Historiker Volker Sellin.

Staatsanwaltschaft prüft Plagiatsvorwürfe

Der Fall Koch-Mehrin wird auch auf höchster europäischer Ebene verfolgt. Der Pole Jerzy Buzek, amtierender Präsident des Europäischen Parlamentes, lässt sueddeutsche.de über einen Sprecher ausrichten, er habe die Vorwürfe gegen Koch-Mehrin "den Medien entnommen und registriert". Sollten sich daraus strafrechtliche Konsequenzen ergeben, "dann wäre das Parlament betroffen". Es würde dann sicher zu einer Debatte darüber im Plenum kommen.

Der Fraktionschef der europäischen Sozialdemokraten, Martin Schulz, hat nach Informationen von sueddeutsche.de sogar telefonischen Kontakt mit Koch-Mehrin aufgenommen, um sich bei ihr zu erkundigen. Er wolle aber erst die Prüfung durch die Uni Heidelberg abwarten, bevor er sich dazu äußert.

Ob Koch-Mehrin strafrechtlich belangt werden kann, ist aber offen. Laut der Promotionsordnung der philosophischen Fakultät der Uni Heidelberg müssen deren Doktoranden bisher lediglich eine Erklärung abgeben, dass sie ihre Arbeit selbständig und nach den Regeln wissenschaftlichen Arbeitens erstellt haben. Eine eidesstattliche Versicherung ist nicht vorgesehen.

Einer Sprecherin der Universität zufolge aber soll demnächst darüber entschieden werden, von Doktoranden künftig eine solche eidesstattliche Versicherung zu verlangen. Die Prüfung der Arbeit von Koch-Mehrin kann sich noch bis nach Ostern hinziehen.

Unterdessen berichtet der Tagesspiegel, dass sich auch die Staatsanwaltschaft Heidelberg mit Koch-Mehrins Doktorarbeit beschäftigt. Dem Bericht zufolge prüfe sie, ob sie gegen die FDP-Politikerin ein Ermittlungsverfahren wegen Urheberrechtsverletzung einleiten werde: "Wir haben am Montag von Amts wegen ein Vorprüfungsverfahren wegen Verdacht auf Urheberrechtsverletzungen eingeleitet", zitiert die Zeitung eine Behördensprecherin.

Rückendeckung bekommt Koch-Mehrin inzwischen von ihrer FDP-Landesvorsitzenden Birgit Homburger. Die sagte vor Journalisten in Berlin: "Solange nicht eine Verfehlung bewiesen ist, gilt die Unschuldsvermutung. "

Sollte Koch-Mehrin über die Affäre stolpern, wäre das ein Rückschlag für die FDP in dem Bemühen, mehr Frauen nach vorne zu bringen. Dem noch zu bildenden neuen Parteipräsidium der FDP gehört Koch-Mehrin als Fraktionschefin im Europarlament zwar automatisch an. Als solche war sie im Gespräch, mehr Präsenz zu zeigen. Träte sie von dem Amt zurück, wäre sie aber auch automatisch nicht mehr Präsidiumsmitglied.

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