Pipeline:Affront mit Ansage

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Zu lange hat Berlin so getan, als sei das Projekt in der Ostsee ein rein wirtschaftliches Unternehmen und kein politisches Geschäft. Nun stehen Investitionen von fast zehn Milliarden Euro auf dem Spiel.

Von Daniel Brössler

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(Foto: Stefan Sauer/dpa)

Die Sanktionen könnten die Arbeiten massiv behindern: Das Pipeline-Verlegeschiff "Castoro 10" vor der Südostspitze der Insel Rügen.

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(Foto: Alexander Nemenov/AFP)

Von hier soll das Gas für die Pipeline kommen: Arbeiten an einer Bohrplattform im Bowanenko-Vorkommen auf der Halbinsel Jamal in Nordsibirien.

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(Foto: Stefan Sauer/dpa)

Hier soll das russische Erdgas ankommen: Baustelle der Empfangsstation der Ostseepipeline bei Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern.

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(Foto: Jens Büttner/dpa)

Die Nord Stream 2 ist mit 1230 Kilometern eine der längsten Offshore-Pipelines der Welt: Arbeiter bei der Überprüfung von Rohren.

Noch fehlen etwa 300 Kilometer bis zur Fertigstellung der Pipeline: Das Verlegeschiff "Audacia'" des Offshore-Dienstleisters Allseas verlegt in der Ostsee vor der Insel Rügen Rohre für die Gaspipeline Nord Stream 2.

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(Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Von der Ostsee geht es dann noch weiter: Die Eugal-Pipeline schließt an Nord Stream 2 an und soll Gas über 480 Kilometern Länge von Lubmin zur tschechischen Grenze befördern - im Bild lagernde Rohre bei Golßen in Brandenburg.

Es war ein Wutausbruch auf nüchternen Magen. US-Präsident Donald Trump empfing Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zum Frühstück. Der Norweger wollte gute Stimmung machen vor Beginn eines Gipfeltreffens ein paar Stunden später. Die Verteidigungsausgaben seien gestiegen "wegen Ihrer Führerschaft", schmeichelte Stoltenberg. "Das schreibt wieder keiner", antwortete der Präsident missgelaunt. Dann legte er los. Es sei "traurig, dass Deutschland einen riesigen Deal mit Russland schließt, während wir Deutschland verteidigen sollen", beschwerte er sich. "Deutschland", wetterte er, "wird total von Russland kontrolliert."

Das war im Juli 2018, und wer sich nun über die Entscheidung des US-Repräsentantenhauses wundert, Sanktionen wegen der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zu verhängen, der sollte sich an diese Episode erinnern. Schon damals war klar: Der Ärger um die Röhre würde nicht einfach verschwinden. Trump witterte eine gute Gelegenheit, Zwietracht zu säen. Nicht nur die Ukrainer hatten sich über das Pipeline-Projekt beschwert, auch etliche östliche Nato-Staaten. Seht her, nicht ich gefährde die Nato und den westlichen Zusammenhalt, lautete die Botschaft, sondern Angela Merkel. Das Manöver war durchsichtig, aber wirkungsvoll. Zumindest die Osteuropäer fanden: Trump hat recht. Und im Repräsentantenhaus sagen nun in seltener Eintracht Republikaner wie Demokraten, dass die Röhre weg muss.

Auch deutsche Politiker stimmten in die Kritik am Röhrenbau mit ein

Es ist ein Streit, der zurückführt ins Jahr 2015. Die Annexion der Krim lag nur ein Jahr zurück, der Krieg im Osten der Ukraine war in vollem Gange. USA und EU hatten gegen Russland Sanktionen verhängt. Im Stillen aber gedieh ein Projekt, das Russland und Deutschland wieder näher bringen sollte. Neben der ersten Ostsee-Pipeline sollte eine zweite in Angriff genommen werden, um mehr Gas nach Deutschland zu pumpen. Alexej Miller, Chef des russischen Gazprom-Konzerns, holte Konzerne wie Eon ins Boot, aber auch die deutsche Politik. Als im Oktober 2015 der damalige Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel zu Gast beim russischen Präsidenten Wladimir Putin war, ging es um die Röhre. Gabriel war, wie Ex-Kanzler Gerhard Schröder bei der ersten Pipeline, ein Förderer des Vorhabens.

Womöglich aber unterschätzten Gabriel und auch Bundeskanzlerin Merkel den Widerstand gegen den zweiten Röhrenbau. Die Ukrainer warnten, Putin werde die Pipeline bei Bedarf als Waffe einsetzen. Aus Polen und den baltischen Staaten kamen ähnliche Warnungen. Außerdem sahen sie ihre eigenen Interessen bedroht für den Fall, dass die alte Pipeline zugunsten der neuen trockengelegt würde. Sie wollten nicht, dass der Weg des Gases fast nur noch über Deutschland führt. Vor den Kopf gestoßen fühlte sich auch die EU-Kommission. Eigentlich hatten sich die EU-Staaten auf das Ziel verständigt, ihre Energielieferungen zu diversifizieren und sich unabhängiger zu machen von russischem Gas.

Die Bundesregierung wiegelte ab. Zum einen stellte sie sich auf den Standpunkt, die Pipeline sei ein rein wirtschaftliches Projekt, zum anderen sprach sie der EU die Zuständigkeit ab. Über Jahre wurde dieser Streit in Brüssel ausgetragen. Die EU-Kommission versuchte, unterstützt von etlichen Mitgliedstaaten, die Angelegenheit an sich zu ziehen - letztlich aber mit bescheidenem Erfolg. Im Rat der EU verhinderte Deutschland Entscheidungen, die der Inbetriebnahme hätten gefährlich werden können. Auch eine lange ausstehende Genehmigung durch Dänemark wurde schließlich erteilt. Letzte Hoffnung der Gegner blieben die USA. Mit wachsender Empörung registrierten deutsche Diplomaten die Lobbyarbeit vor allem Polens in Washington. Der EU-Partner machte sich in den USA stark dafür, die schon lange vorbereiteten Sanktionen gegen am Pipeline-Projekt beteiligte Firmen in Kraft zu setzen, und warb so letztlich für Strafen gegen Deutschland. Zur Freude Trumps.

Dabei stießen Polen und Ukrainer mit ihrer Kritik durchaus auch bei deutschen Politikern auf Zustimmung. "Als Chef der EU-Kommission werde ich alle Vorschriften anwenden, um Nord Stream 2 zu blockieren", versprach der CSU-Politiker und Europa-Spitzenkandidat Manfred Weber im Wahlkampf. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sprach von einem "Interessenzwiespalt". Den sah auch Kanzlerin Merkel. 2018 räumte sie bei einem Besuch des damaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko ein, dass "politische Faktoren" berücksichtigt werden müssten. Merkels Ziel war und ist es, den Gastransit durch die Ukraine trotz Nord Stream 2 weiterhin zu sichern. Unter Vermittlung der EU-Kommission wird darüber zwischen Moskau und Kiew verhandelt.

"Gute Nachrichten aus den Vereinigten Staaten", twitterte der ukrainische Regierungschef

Aus ukrainischer Sicht bleibt aber immer die Gefahr, dass Russland sich an Vereinbarungen nicht hält. Wenig überraschend ist daher, wie erfreut die Regierung in Kiew auf die Entscheidung des US-Repräsentantenhauses reagiert hat. "Gute Nachrichten aus den Vereinigten Staaten", schrieb Regierungschef Alexej Gontscharuk auf Twitter. Zustimmung kommt allerdings auch von anderswo. "Ich hasse es, das zu sagen, weil ich die Verhängung extraterritorialer Sanktionen durch die USA hasse", ließ der Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer (Grüne) ebenfalls auf Twitter wissen, "aber ich hoffe, dass die US-Sanktionen gegen Nord Stream 2 den verhängnisvollen, antieuropäischen Kurs stoppen, den die deutsche Regierung in dieser Frage eingeschlagen hat."

In der Bundesregierung sieht man das naturgemäß anders. "Die europäische Energiepolitik wird in Europa entschieden, nicht in den USA", erklärte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD). "Eingriffe von außen und Sanktionen mit extraterritorialer Wirkung lehnen wir grundsätzlich ab", betonte er. Tatsächlich ist es nicht nur aus Sicht Deutschlands, sondern auch der EU schon lange ein Ärgernis, dass die USA sich das Recht nehmen, nicht-amerikanische Firmen für Dinge zu bestrafen, die sie außerhalb der USA im Einklang mit den Gesetzen ihrer Länder tun. Im Falle der Iran-Sanktionen bekommen die Europäer gerade zu spüren, dass gegen solche US-Sanktionen kaum anzukommen ist.

Die deutsche Wirtschaft gibt sich dennoch kämpferisch. Einen "Affront gegen die europäische Souveränität und einen nicht akzeptablen Eingriff in die autonome Energiepolitik Europas", beklagte Oliver Hermes, Vorsitzender des Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Und die deutsch-russische Auslandshandelskammer forderte gar "Gegensanktionen". An was sie da denken, führten die Wirtschaftsvertreter allerdings nicht aus.

© SZ vom 13.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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