Pflegereport:Teurer statt besser

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Immer mehr Menschen werden in Einrichtungen des betreuten Wohnens oder in Pflege-WGs versorgt. Das kann doppelt so teuer werden wie im Heim. Oft ist die Betreuung aber nicht besser, es fehlen bundesweite Qualitätskriterien.

Von Rainer Stadler, München

Eigentlich war die Entwicklung genau so erwünscht: Die überwältigende Mehrheit der Pflegebedürftigen gibt in Umfragen regelmäßig an, lieber im häuslichen Umfeld leben zu wollen als im Heim. Dem hat die Politik Rechnung getragen und die Forderung "Ambulant vor stationär" im Sozialgesetzbuch verankert. Es ist also eine gute Nachricht, wenn der neue Pflegereport der Barmer-Krankenkasse nun feststellt: Immer mehr Menschen werden heute in Einrichtungen des betreuten Wohnens oder in Pflege-WGs versorgt, insgesamt 181 000. 30 Prozent dieser ambulant betreuten Wohnformen, in denen die Menschen eher nach ihren eigenen Vorstellungen leben sollen als im vorgegebenen Takt des Heimalltags, sind in den vergangenen zehn Jahren entstanden. Doch die Spareffekte, die sich die Politik erhoffte, sind dem Report zufolge nicht eingetreten, im Gegenteil: Im Vergleich zum Pflegeheim sei diese Wohnform allein 2018 um 400 Millionen Euro teurer gewesen. Wie kann das sein, wenn diese Pflegebedürftigen doch nur teilstationär betreut werden und nicht rund um die Uhr wie im Heim?

Die Pflege im betreuten Wohnen kann doppelt so teuer werden wie im Heim

Das liegt vor allem am Leistungskatalog Pflegeversicherung, wie ein Autor der Studie erklärt, der Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang. Dieser Katalog sei in den vergangenen Jahren flexibilisiert worden, sodass "findige Anbieter nun richtig Kassen machen" könnten, indem sie "verschiedene Leistungen stapeln": Leistungen für Tages- und Nachtpflege, Sachleistungen, Wohngruppenzuschlag. Dazu kommen noch Mittel aus der Krankenkasse für die häusliche Krankenpflege. Rothgang hat ausgerechnet, dass die gleichzeitige Inanspruchnahme dieser Leistungen dazu führe, dass Anbieter bei Pflege- und Krankenversicherungen doppelt so viel Geld pro Pflegebedürftigen abrechnen können wie Heimbetreiber.

In der Summe bedeutet das: Während im Jahr 2000 die ambulante Pflege, auch die im eigenen Zuhause, bei der sozialen Pflegeversicherung mit acht Milliarden Euro zu Buche schlug, waren es 2018 schon 22,6 Milliarden - fast dreimal so viel. Die Kosten für Heimversorgung haben sich im selben Zeitraum nur verdoppelt, auf 14,3 Milliarden Euro. Rothgang rechnet mit weiteren Kosten, derzeit seien 340 Einrichtungen des betreuten Wohnens mit insgesamt 10 000 Pflegeplätzen geplant oder im Bau.

Der Mehraufwand sei nur zu rechtfertigen, wenn auch die Versorgungsqualität steige, mahnt die Studie. Indizien legen das Gegenteil nah: Pflegebedürftige in betreutem Wohnen hätten seltener Kontakt zum Hausarzt als Heimbewohner, würden sich öfter wund liegen und müssten häufiger ins Krankenhaus, weil sie ambulant nicht angemessen behandelt wurden.

Anders als für Pflegeheime gibt es für ambulante Wohnformen keine bundesweiten Qualitätskriterien. Auch das macht es für Anbieter attraktiv: Sie benötigen weniger Personal und bleiben von lästigen Prüfungen verschont. Barmer-Chef Christoph Straub will das ändern. Er fordert deshalb einheitliche Standards, um die Bewohner der Einrichtungen zu schützen. "Sie sollen ihren Wunsch nach eigenständigem Leben nicht mit schlechterer Gesundheit erkaufen müssen."

© SZ vom 29.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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