Peru:Am Rande des Bürgerkriegs

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Unterstützer des gestürzten (Foto: ERNESTO BENAVIDES/AFP)

Präsident Vizcarra wollte die Korruption bekämpfen - das brachte ihm im Kongress mächtige Feinde - die ihn gestürzt haben. Sein Nachfolger muss ebenfalls schon wieder abtreten.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Eine dramatische Woche geht zu Ende in Peru - und es sieht nicht so aus, als ob die nächsten Tage ruhiger werden würden. Mindestens drei Menschen sind in dem südamerikanischen Land schon ums Leben gekommen, seit vergangene Woche Massenproteste ausgebrochen sind gegen eine umstrittene Übergangsregierung. Dutzende Demonstranten wurden teils schwer verletzt.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag kam es landesweit zu teils chaotischen Szenen: So hatten sich in der Hauptstadt Lima Tausende Menschen auf einem zentralen Platz versammelt, als die Polizei begann, mit Gummigeschossen und Tränengas in die Menge zu feuern. Demonstranten warfen daraufhin mit Steinen, Farbbeuteln und laut offiziellen Angaben auch mit Brandsätzen. Augenzeugen und lokale Medien sprachen von Straßenschlachten und bürgerkriegsähnlichen Zuständen.

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Das Parlament setzte überraschend den Präsidenten ab

Begonnen hatten die Proteste vergangene Woche, als das peruanische Parlament überraschend für eine Absetzung des bisherigen Präsidenten Martín Vizcarra stimmte. Er steht im Verdacht, 2014 Schmiergelder angenommen zu haben bei der Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen. Ein rechtskräftiges Urteil gibt es aber nicht, genauso wenig wie überhaupt auch nur konkrete Beweise. Die Anschuldigungen beruhen lediglich auf Aussagen bereits inhaftierter Unternehmer, denen für ihre Zusammenarbeit mit der Justiz wohl Strafmilderung in Aussicht gestellt wurde.

Das Parlament begründete die Absetzung Vizcarras darum auch nicht mit dessen Bestechlichkeit, sondern lediglich mit seiner angeblichen "moralischen Unfähigkeit". Zwei Drittel der Abgeordneten sprachen sich am Montag vergangener Woche dafür aus, Vizcarra die Macht zu entziehen. Trotz der breiten parlamentarischen Mehrheit im Kongress löste die Entscheidung in der Bevölkerung aber einen Sturm der Entrüstung aus.

Angetreten war Vizcarra mit einem Versprechen: den Filz zu bekämpfen

Bis zu seiner Absetzung galt Martín Vizcarra als einer der beliebtesten Präsidenten in der jüngeren Geschichte Perus. 2018 hatte er sein Amt angetreten mit dem Versprechen, den Filz aus Vetternwirtschaft, persönlicher Bereicherung und Korruption zu bekämpfen, der die peruanische Politik seit Jahrzehnten durchzieht und lähmt. So gut wie alle Vorgänger Vizcarras im Amt sind heute entweder wegen Bestechung angeklagt, oder sie sitzen deswegen in Haft. Und auch das Parlament gilt als höchst korrupt: Gegen mehr als die Hälfte der derzeitigen Abgeordneten laufen Ermittlungen.

Mit einigen substanziellen Reformen wollte Vizcarra die Schmiergeldkultur in der peruanischen Politik bekämpfen, unter anderem sollte die parlamentarische Immunität von Abgeordneten beschnitten werden. Im Volk brachte ihm das viel Sympathie, im Kongress aber machte sich Vizcarra mit seinen Vorstößen viele Feinde. Schon im September hatten Parlamentarier versucht, dem Präsidenten die Macht zu entziehen. Damals noch ohne Erfolg. Vergangene Woche taten sich dann aber mehrere kleine Parteien des extrem zersplitterten peruanischen Parlaments zusammen und stimmten für eine Absetzung.

Als Haupttreiber gilt dabei der bisherige Parlamentspräsident Manuel Merino. Verfassungsgemäß ist er nun zum Übergangspräsidenten aufgestiegen. Die Wut der Demonstranten richtet sich vor allem gegen ihn und den Kongress. "Nicht mein Präsident", steht auf den Schildern bei den Protesten, und "Peru ist aufgewacht".

Tatsächlich steckt hinter den Demonstrationen nicht nur der Unmut über die Absetzung eines beliebten Präsidenten. Die Auseinandersetzungen markieren auch das Ende eines scheinbar makellosen Aufstiegs: Über Jahre hinweg boomte Peru, Wohlstand und Wirtschaft wuchsen, vor allem aber junge Menschen bekamen oft nur prekäre Jobs, in denen sie für wenig Geld hart arbeiten mussten. Ein Großteil der Peruaner hat nicht einmal einen festen Anstellungsvertrag und immer wieder lösten tödliche Arbeitsunfälle Proteste aus.

Covid-19 hat den Aufstieg Perus nun endgültig gestoppt. Trotz eines strengen Lockdowns gab es umgerechnet auf die Bevölkerungszahl kaum irgendwo in Lateinamerika so viele Infizierte und Tote. Gleichzeitig ist die Wirtschaft zusammengebrochen. Alleine dieses Jahr soll sie um bis zu 14 Prozent schrumpfen, Tausende haben ihre Jobs verloren, und nun kommt zu dem sozialen und ökonomischen Chaos auch noch eine politische Krise.

Es sind vor allen junge Peruaner, die derzeit auf die Straße gehen. Die Polizei geht dabei immer brutaler gegen die Proteste vor. Beamte sollen gezielt auf Demonstranten und Journalisten geschossen haben und dabei nicht nur Gummigeschosse eingesetzt haben, sondern auch Glaskugeln. Amnesty International hat wegen der unangemessenen Gewalt schon protestiert, genauso wie die Vereinten Nationen.

Je größer die Proteste werden, desto mehr scheint auch die Übergangsregierung zu wackeln. In der Nacht von Samstag auf Sonntag trat ein Großteil des Kabinetts zurück und selbst Politiker aus der eigenen Partei fordern den Rücktritt des Interimspräsidenten Manuel Merino. Dieser war zunächst untergetaucht, niemand wusste, wo er sich aufhält. Am Sonntag meldete er sich wieder - und gab, wenige Tage nach dem Amtsantritt, seinen Rücktritt bekannt.

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