Parteien:Sigmar Gabriel: Drehbuch eines Rücktritts

Lesezeit: 2 min

Berlin (dpa) - Drei Gründe nennt Sigmar Gabriel für seinen überraschenden Rückzieher von Kanzlerkandidatur und SPD-Spitze: Seine schlechten Chancen im Wahlkampf, fehlenden Rückhalt in der Partei und seine Familie.

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Berlin (dpa) - Drei Gründe nennt Sigmar Gabriel für seinen überraschenden Rückzieher von Kanzlerkandidatur und SPD-Spitze: Seine schlechten Chancen im Wahlkampf, fehlenden Rückhalt in der Partei und seine Familie.

Monatelang überlegte der Parteichef hin und her, auch enge Vertraute wussten oft nicht, was in ihm vorging. Schließlich entschloss sich der 57-Jährige zum Rückzug. Wie es dazu kam:

Dezember 2015: Gabriel und die SPD haben es schwer miteinander. Die Sozialdemokraten bestätigen ihren Vorsitzenden mit gerade mal 74,3 Prozent im Amt. Auf die Frage, ob er nach der Klatsche ans Hinschmeißen gedacht habe, sagt er dem ARD-Reporter Reinhold Beckmann: Ja, klar! - aber das Pflichtbewusstsein habe gesiegt.

Sommer 2016: Bei Gabriel regen sich erste Zweifel, ob er Kanzlerkandidat werden soll - so schildert er es dem „Stern“. Die Umfragewerte sind schlecht. Und dann ist da noch ein privater Grund: Ehefrau Anke erwartet das zweite gemeinsame Kind. Ab März habe er „drei Töchter und eine berufstätige Frau“, sagt Gabriel dem Magazin. „Und es ist einfach traurig, wenn man nie da ist, wenn irgendwas passiert.“ Eigentlich habe er „permanent ein schlechtes Gewissen“.

September: Gabriel macht die Abstimmung über Ceta zu seiner Schicksalsfrage. Wäre die Partei ihm nicht gefolgt, hätte sie gegen das EU-Freihandelsabkommen mit Kanada nicht zugestimmt, dann wäre der Goslarer wohl zurückgetreten. 

November: Angela Merkel legt sich fest, sie tritt wieder an - und was macht der SPD-Chef? Gabriel hält dem Druck in Sachen K-Frage stand und fordert die Partei auf, „cool“ zu bleiben. Erst Ende Januar soll entschieden werden. Damit verschafft er sich Bedenkzeit.

Jahreswechsel: Wann genau Gabriel den Entschluss fällt, seinem langjährigen Freund und nun Konkurrenten Martin Schulz die Parteiführung und die Kanzlerkandidatur anzutragen, weiß nur er selbst. Dem Stern sagt er jedenfalls, die Entscheidung für Schulz habe schon „lange“ festgestanden, als die „Bild“ am 9. Januar meldete, der SPD-Chef selbst trete an.

Samstag, 21. Januar: Schulz und Gabriel kommen im rheinland-pfälzischen Montabaur zusammen. Er habe Schulz gesagt, was er „seit einiger Zeit denke und auch mit anderen in der SPD besprochen habe“, sagt Gabriel später. Er trägt Schulz Kanzlerkandidatur und Vorsitz an, der greift sofort zu.

Sonntag, 22. Januar: Gabriel gibt dem „Stern“ ein ausführliches Interview (das bis Mittwoch unter Verschluss bleiben soll) und erklärt, warum er aus seiner Sicht nicht der Richtige ist für die SPD im Wahlkampf. Er spricht von seiner Familie und von der Partei, in der viele seinen Ton und seinen Politikstil nicht mögen. Es fehle ihm der unbedingte Wille, im Herbst ins Kanzleramt einzuziehen. Vor allem aber: „Wenn ich jetzt anträte, würde ich scheitern, und mit mir die SPD.“

Montag, 23. Januar: Spätestens jetzt informiert Gabriel die engere Parteiführung. Wer wusste wann Bescheid? Sowohl Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen, als auch Hamburgs Ersten Bürgermeister Olaf Scholz hat der scheidende SPD-Chef nach eigenen Angaben eng eingebunden in seine Entscheidung.

Dienstag, 24. Januar: Der große Knall. Am Abend soll der SPD-Führungszirkel tagen, doch bereits kurz vor einer Fraktionssitzung wird das „Stern“-Titelbild öffentlich: „Der Rücktritt“. Auch die „Zeit“ berichtet. Die Partei ist überrumpelt. Am Abend stellen sich Gabriel und Schulz im Willy-Brandt-Haus gemeinsam der Presse - erstmals in ihren Rollen als scheidender Parteichef und neuer Hoffnungsträger.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: